nd-aktuell.de / 23.12.1991 / Politik / Seite 4

Osteuropa lernte 1991 Massenarbeitslosigkeit kennen

Berlin (ADN). Die Staaten Osteuropas sind bei der Verwirklichung ihrer Wirtschaftsreformen mit der für sie bisher unbekannten Massenarbeitslosigkeit konfrontiert worden. Mittlerweile hat in einigen Ländern die Erwerbslosenquote bereits die Marke von zehn Prozent überschritten, andere bewegen sich darauf zu. Ein Ende des Arbeitsplatzabbaus wird in den kommenden Monaten nicht erwartet. Vor allem die Schließung unrentabler Produktionslinien und Betriebe, Kosteneinsparungen, der Nachfragerückgang im Inland und der zusammengebrochene Handel im RGW-Bereich haben die Arbeitslosenzahlen 1991 explodieren lassen.

In Polen sind mit mehr als 2,1 Millionen Menschen 11,1 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung ohne Job. Damit hat sich die Zahl der Erwerbslosen seit Jahresbeginn etwa verdoppelt. Mit einem im September verabschiedeten neuen Beschäftigungsgesetz soll anstelle der bloßen sozialen Unterstützung eine aktive Beschäftigungspolitik treten. r

Auch in Ungarn ist ein Gesetz über Beschäftigungsgesellschaften in Vorbereitung, um den wachsenden Strom der Arbeitslosen teilweise auffangen zu können. Derzeit sind in dem Land rund 350 000 Menschen ohne Beschäftigung, die Quote stieg'auf 7,3 Prozent. Seit Januar hat sich die Zahl der Erwerbs-

losen fast vervierfacht. Befürchtet wird für 1992 ein weiteres Ansteigen auf 600 000 Personen.

Auf rund eine halbe Million gestiegen ist die Arbeitslosenzahl in der CSFR, wobei die Slowakei stärker betroffen ist. In der östlichen Teilrepublik gibt es zum einen große strukturschwache Gebiete, andererseits liegen hier die meisten Standorte der CSFR-Rüstungsindustrie, deren Konversion große Probleme hervorruft.

Rapide geklettert ist die Erwerbslosigkeit auch in Bulgarien, wo über 400 000 Menschen eine Arbeit suchen. Seit Januar hat sich die Zahl fast versiebenfacht, die Erwerbslosenrate stieg auf über zehn Prozent. Aus Rumänien mel-

dete das Bukarester Arbeitsministerium für Ende November 192 000 Arbeitslose, dies sind nur drei Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung. Die wirkliche Zahl liegt jedoch höher, weil nur jene ausgewiesen werden, die auch Unterstützung vom Staat erhalten.

Auffallend viele Arbeitslose in Osteuropa sind Menschen jüngeren Alters sowie mit mittlerer und höherer Qualifikation. So ist nicht zuletzt wegen der schrittweisen Liberalisierung des Personenverkehrs im Zuge der EG-Assoziierung Polens, Ungarns und der CSFR zu erwarten, daß sich viele von ihnen nach Arbeit im Westen umsehen werden.