nd-aktuell.de / 23.12.1991 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 8

Spielwiese

Wolfgang Bötsch, Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, hat sich dagegen ausgesprochen, das Grundgesetz zur „Spielwiese für irgendwelche Experimente“ zu machen. Er hat für seinen Teil Recht:

Mit dem Grundgesetz wurde eine perfekte Parteienherrschaft geformt, die aus dem Staatsbürger den Statisten eines parlamentarischen Theaters macht. Es hat durch die Reduzierung sozialer Grundrechte auf die Floskel, daß Deutschland „ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ sei, die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft ermöglicht, die den Staatsbürger vom Wohl und Wehe des Kapitalismus abhängig macht. Und der gerühmte Grundrechtekatalog findet seine Grenzen in den Machtverhältnissen; die einen sind nun einmal gleicher, freier und berechtigter als die anderen. Au-ßerdem gibt es empfindliche Lücken, wenn man z.B. an die fehlenden Rechte auf Frieden, ökologische Sicherheit und Arbeit denkt.

Aber im Wesen hat Bötsch, wie gesagt, Recht. Nicht Spielwiese - aber man sollte es aufmerksam durchforsten, ob es den neuen Anforderungen an Menschenwürde und Demokra-

tie entspricht. Die Politiker, die für eine reformierte Verfassung plädieren, wollen eine der Zukunft geöffnete Weiterentwicklung. Jedoch ausgerechnet Bötschs Vorschläge würden das Grundgesetz zur Spielwiese für Experimente machen. Er möchte nämlich, daß das Recht auf Asyl neu formuliert wird, „da die jetzige Fassung zum Mißbrauch geradezu einlädt“, und daß. der Einsatz der Bundeswehr „auch außerhalb des NA-TO-Gebietes stattfinden können muß“. Er spricht sich gegen die Aufnahme plebiszitärer Elemente aus und regt eine Verlängerung der Legislaturperiode an. Aus Bötsch spricht unseliges Deutschtum, geplanter Vormarsch zur Großmacht und das Bestreben, sich dem Wähler nicht so oft stellen zu müssen also Konservierung der jeweiligen Machtstrukturen für längere Zeit.

Die Auffassungen des CSU-Politikers sind ein bedenklicher Auftakt für den Verfassungsausschuß von Bundestag und Bundesrat, der im Januar seine Tätigkeit beginnt. Er beginnt zwar, um einen Auftrag im Vollzug der deutschen Einigung zu erfüllen. Aber enden soll er offenbar mit der Feststellung, daß lediglich die Bundesrepublik vergrößert wurde.

GUNTER FLEISCHMANN