nd-aktuell.de / 15.06.1992 / Politik / Seite 3

Minderheitenschutz für „Ossis“

Berlin (Reuter/ND). Da die Ostdeutschen fast in allen gesellschaftlichen Gremien die Minderheiten stellen, regte PDS-Vorsitzender Gysi die Bildung einer Körperschaft nur für Ostdeutsche an. „Die Ostdeutschen brauchen eigentlich einen Minderheitenschutz“, sagte Gysi vor Journalisten in Halle. Eine solche Körperschaft könnte beispielsweise jene Interessen vertreten, die sich für die Ostdeutschen aus dem Einigungsvertrag ableiten.

Vorwürfe, nach denen die Pläne eines organisatorischen Zusammenschlusses der Ostdeutschen von Separatismus zeugen, dürften sich nicht gegen die Ostdeutschen, sondern müßten sich gegen die Bonner Politik richten, sagte Gysi.

Der Brandenburger CDU-Politiker Diestel dementierte am Sonntag Berichte, er wolle am Montag

zur Gründung einer ostdeutschen Partei aufrufen. Erstmals drohte der ehemalige CDU-Landtagsfraktionschef aber konkret an, seine Partei zu verlassen.

„Ich rufe am Montag zu nichts auf“, sagte Diestel in einem Presseinterview Über den Gründungszeitpunkt und den organisatorischen Rahmen der Bewegung, die die Interessen der Menschen in der Ex-DDR vertreten solle, sei noch nicht entschieden. Dem Brandenburger CDU-Chef Fink warf Diestel abermals vor, die CDU in die Bedeutungslosigkeit zu treiben. Falls sich der „von Westberlin aus gesteuerte“ Landesverband weiter nur mit Personalquerelen befasse, werde er, Diestel, die Partei verlassen.

PDS-Vizechef Brie unterstrich in einem Rundfunkinterview, die PDS wolle sich an Diestels partei-

übergreifender Bewegung beteiligen. Eine Zusammenarbeit mit CDU-Politikern sei zwar „nicht unproblematisch“, doch angesichts der Problemlage in Ostdeutschland „dringend erforderlich“ Brie betonte, das Interessenbündnis sei keine Alternative zur PDS, und warnte vor ostdeutschem „Separatismus“ Wenn aber Deutschland zusammenwachsen solle, müßten die Ostdeutschen „eigenständig und selbstbewußt ihre Interessen einbringen und durchkämpfen“.

Wie zuvor schon andere hochrangige CDU-Politiker drohte nun auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Münch Diestel den Parteiausschluß an, falls er seine Ankündigungen wahrmache. „Wir brauchen nach der Spalterflagge nicht noch eine Spalterpartei“, sagte er. (Seite 2)