nd-aktuell.de / 28.06.1993 / Politik / Seite 11

Unters Volk gemischt

Wenn sich Politiker unters Volk mischen, können ihnen bekanntlich höchst unangenehme Dinge widerfahren. Was dem Bundeskanzler sein Ei ist dem Vorpommerschen Landtagspräsidenten die Flüstertüte. Mit der nämlich wollte sich das „Schweriner Aktionsbündnis gegen das Schandurteil zum § 218“ zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause, die in der mecklenburg-vorpommerschen Hauptstadt mit einer Politiker-Wanderung um den Schweriner See eingeleitet werden sollte, Gehör verschaffen. „Wir wollten dem Landtagspräsidenten nur eine Resolution überreichen und durch ein Megaphon ein paar Worte sagen“, so Ellen Woll, Landesfrauenbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern und Mitinitiatorin des Frauenbündnisses. Doch dazu sollte es nicht kommen, denn Landtagspräsident Rainer Prachtl (CDU) wies nach Angaben der Frauen die bestellte Blaskapelle an, mit lautem Spiel zu beginnen. Viele der Landtagsabgeordneten sollen die Frauen zurückgedrängt, einige sogar beschimpft haben.

Das Überreichen der Resolution ging unter, wenige Momente später hatte sie allerdings Landtagsdirektor Uwe Bernzen (CDU) in der Hand, gab sie aber den Frauen mit der Bemerkung „Irgendein Spaßvogel hat mir dies in die Hand ge-

drückt!“ zurück. Wohl in Unkenntnis, daß der Spaßvogel der Herr Landtagspräsident persönlich ..war, und wohl auch in der Überzeugung, daß solche Frauendemonstrationen nicht so ernst zu nehmen seien. „Der Landtagsdirektor hat die Situation in dem Moment nicht richtig erfaßt, weil zu viel los war“, entschuldigt Landtags-Pressesprecher Hendrik de Boer. Auch versichert er, daß der Präsident keine Anweisung an die Kapelle gegeben habe.

Das jedoch ist den Frauen, die „nur fünf Minuten wollten“, egal: „Das Desinteresse der Herren Abgeordneten ist in diesen Dingen wieder mal sehr deutlich geworden.“ Landtagssprecher de Boer aber kontert: „Hätte das Frauenbündnis den Landtag oder die Pressestelle informiert, wäre den Frauen sicher auch Gehör geschenkt worden. Die Wanderung sollte pünktlich um 14 Uhr beginnen.“

Wer hier nun wem mehr Schuld in die Schuhe schieben kann, sei dahingestellt. Fakt aber ist, daß die Landtagsabgeordneten beim Sich-unters-Volk-mischen wohl doch nur an das Volk dachten, das sie hören wollten. Sie haben weder Humor noch demokratisches Verständnis bewiesen. Da mutet das Dringen auf einen termingerechten Ablauf der Polit-Schau nur als Ausrede an. Ellen Woll: „Ob die Landtagsabgeordneten im Auge haben, daß sie damit 50 Prozent ihrer Wählerschaft öffentlich vor den Kopf gestoßen haben?“

SIMONE SCHMOLLACK