nd-aktuell.de / 02.11.1993 / Kommentare / Seite 2

NATO-Zierde

Frank Wehner

Jüngst diskutierte man auf einem NATO-Treffen, ob Prag, Budapest oder Warschau reif genug schon waren, dem Pakt anzugehören. Befund: Sie sind es nicht. Schon das ist eine Anmaßung, doch noch übler wird's, wenn man gerade dieser Tage sieht, was an der Südostflanke dieses Exklusivklubs der Zivilisationsverteidiger passiert.

Dort hat ein Staatschef zum „Vernichtungsfeldzug“ gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung gerufen. Die PKK, Repräsentantin des geschundenen Volks der Kurden, soll „ausgerottet“ werden. In der Presse erscheint eine Abschußliste. Tagtäglich ermorden in Anatolien Staatsdiener 20 bis 30 Menschen. Allein in der Stadt Lice, die „Sicherheitskräfte“ niederbrannten, wurden 380 Einwohner massakriert. Und ein Betonkopf im Präsidentenamt lehnt jeden

Versuch einer politischen Lösung ab.

Eine Regierung verfällt endgültig dem Blutrausch, Tollwut hat sie gepackt. Schläge, die die PKK austeilt, können das nicht rechtfertigen, zumal ihr oft genug auch unterschoben wird, was Leute Ankaras in ihrem Namen taten.

Wo bleibt eigentlich, da ernstlicher Protest sowieso nicht zu erwarten ist? Wenigstens die Mahnung der Partner Ankaras? Froh kann man da schon sein, wenn unter den effektiveren Waffen, die Generalstabschef Güres ins Gemetzel werfen will, keine deutschen sind. Genug hat Bonn, der so bewährte Anwalt kleiner Völker, ja geliefert,

Prag, Budapest und Warschau nicht würdig für die NATO? Daran gemessen, was schon drin ist, wären sie eine Zierde, und das verfemte Belgrad könnte Ehrenmitglied werden.

FRANK WEHNER