nd-aktuell.de / 02.09.1994 / Kultur / Seite 11

Also nix von einem „Jammer-Ossi“?

Ich halte das Wort Jammer-Ossis für einen Kampfbegriff. Jeder Mensch hat ein Recht zu trauern. Die Fähigkeit, Verluste zu bemerken, ist eine sehr menschliche Eigenschaft, wo sie fehlt, scheint mir etwas in Unordnung zu sein. Eine Gesellschaft, die kein Gedächtnis hat für Verluste, ist kritisch zu betrachten. Wenn sie etwas derartiges nicht zuläßt, muß sie ein Interesse daran haben, daß die Menschen die Geschichte, durch die sie hindurchgegangen sind, nicht wahrnehmen sollen. Wir haben das ja in der DDR gekannt, daß der Blick immer nach vorn gerichtet werden sollte, und im Grunde hat sich an diesem Prinzip nichts geändert.

Sie sprechen jetzt nicht zufällig von der Blickrichtung, die für Wahlzeiten nun mal die obligatorische ist?

Nein, von einem generellen Mittel der Machtausübung.