nd-aktuell.de / 25.04.1995 / Kultur / Seite 11

Ein Quotenkiller feiert Jubiläum

München (ddpADN/ND). „Der Dokumentarfilm ist ein Quotenkiller“, da macht sich Gudrun Geyer keine Illusionen. Für das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft hält sie ihn dennoch für unverzichtbar- „Das ist wie mit der Oper - ohne Subventionen wäre auch sie längst am Ende.“ Seit zehn Jahren organisiert Frau Geyer das Dokumentarfilmfestival München, das sich inzwischen über Deutschlands Grenzen hinaus einen Namen gemacht hat. Vor Beginn der Jubiläumsveranstaltung am kommenden Freitag, die unter dem Motto „Das Herzzerreißende der Dinge“ steht, äußerte sie sich in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur ddpADN zur Situation des dokumentarischen Genres. Nach .Frau Geyers Einschätzung ist die Lage für Filmschaffende in den letzten Jahren inimer schlechter geworden. Im kommerziellen Kinobetrieb seien Dokumentarfilme kaum mehr zu sehen, zudem habe das Genre nicht mehr das Gewicht wie in der Umbruchzeit der 60er und 70er Jahre, als es noch von politischen

Emanzipationsbewegungen getragen gewesen sei. Aufgefangen wurde der Abwärtstrend zum Teil durch Spartensender wie ARTE und 3sat. Heute werde kaum mehr ein Dokumentarfilm gedreht, in dem nicht Geld von Rundfunkanstalten stecke.

Kritisch ging Frau Geyer mit der Filmförderung ins Gericht. In Bayern etwa hätten nur solche Produktionen Aussicht auf Finanzhilfen, bei denen ein kommerzieller Erfolg absehbar sei. Zudem werde in den Gremien nach Parteiproporz gekungelt, Filme mit Geldern bedacht, die keiner Seite allzu weh tun - „ein Wischi-Waschi-Modell“

Im Mittelpunkt des diesjährigen Festivals steht eine Hommage an den französischen Filmemacher und Ethnologen Jean Rouch, der in München anwesend sein wird. Das internationale Programm umfaßt zusammen mit dem Sonderprogramm zur Befreiung des KZ Dachau 1945 insgesamt 56 lange und sieben Kurzfilme aus 23 Ländern, darunter ein rundes Dutzend Weltpremieren.