nd-aktuell.de / 11.10.1995 / Politik / Seite 5

Straßenkinder in Erfurt und Eisenach

Inzwischen läßt sich die auf diesem Gebiet besonders rasch voranschreitende Angleichung an westdeutsche Lebensverhältnisse doch nicht mehr übersehen. Allein in Erfurt

sind derzeit fast 600 Wohnungslose in Heimen untergebracht, zehn Prozent von ihnen sind Kinder unter 14 Jahren. Nach inoffiziellen Angaben gibt es in der Landeshauptstadt mehr als 50 Straßenkinder im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren, die sich allein durchs Leben schlagen, ihr Überleben mit kriminellen Delikten sichern und zu verwahrlosen drohen. In Eisenach werden in einer vom Diakonischen Werk eingerichteten Kontaktstelle etwa 30 Straßenkinder regelmäßig betreut. Damit erlangt die Einschätzung des Deutschen Kinderschutzbundes, der Deutschland angesichts von 2,2 Millionen in Armut lebenden Kindern und Jugendlichen bis zu 18 Jahren als die kinderfeindlichste Nation in Europa angeprangert hat, auch für Thüringen erschrekkende Realität.

Nach Erkenntnissen von Sozialwissenschaftlern und Wohlfahrtsverbänden ist Arbeitslosigkeit, insbesondere

Langzeitarbeitslosigkeit, Hauptursache der Armut. Aber auch Behinderte, Menschen mit fehlender oder mangelhafter Ausbildung, Alte und Ausländer gehören zu der Risikogruppe. Das geringe Interesse der Politik an dieser Problematik wird u. a. daran sichtbar, daß die aktuellsten Zahlen über Sozialhilfeempfänger aus dem Jahr 1993 stammen. Damals waren es fast 100 000.