nd-aktuell.de / 16.11.1995 / Politik / Seite 3

Im Osten nicht mal ein Fundament

Parteivize Wolfgang Thierse klagte in Mannheim über die großen Verluste der Sozialdemokraten. Im Westteil Berlins zerbrösele das Fundament der SPD, im Ostteil sei es der Partei noch nicht einmal gelungen, ein solches Fundament aufzubauen. Die SPD erzeuge kein positives Gefühl bei möglichen Wählern. Sie rege nicht die Phantasie an. Aus diesem Dilemma zog Thierse mindestens eine erstaunliche Schlußfolgerung: Es sei einseitig, wegen des Berliner Wahlergebnisses nunmehr das Verhältnis der SPD zur PDS zu debattieren. Noch erstaunlicher: Thierse rief die Westteile der Partei auf, den ostdeutschen Verbänden zu Selbstbewußtsein zu verhelfen.

Wenigstens in Mecklenburg-Vorpommern scheint man das nicht nötig zu haben. Auch Landesvorsitzender Harald Ringstorff plant ein Gespräch mit Gysi. Gegen solche Pläne sprach die Ostberlinerin Ange-

lika Barbe. Über die Zusammenarbeit mit der PDS gewinne die SPD keine einzige Stimme. Indem man sich mit den PDS-Chefs treffe, werte man die nur auf. Sie kritisierte auch, daß sich die SPD-Fraktion im Bundestag dafür einsetzen will, die Strafrenten im Osten abzuschaffen. Nicht eine einzige Hand rührte sich nach der Rede Frau Barbes zum Beifall. Auch sie wird morgen aus dem Parteivorstand ausscheiden.

Eine Debatte über bundesweite linke Koalitionen kam zumindest bis gestern nicht in Gang. In den Ländern entscheiden ohnehin die meist selbst- und machtbewußten Landeschefs. Berlin dürfte da eine Ausnahme sein.

Was aber zeichnet die SPD als linke Partei aus? Der über Scharping kolportierte Satz, er werde einen weiteren Linksruck verhindern, wurde nur zaghaft kritisiert. Prominente SPD-Linke mühten sich redlich, immer wieder in die Diskussion einzugreifen. So kündigte Detlef von Larcher an, das Manifest einiger SPD-Linker zur Erneuerung der SPD werde gekürzt als Initiativantrag dem Parteitag zur Abstimmung gestellt. Die SPD brauche eine Perspektive. Ekkart Kulwein, gleichfalls Bundestagsabgeordneter, wollte sich „nicht damit zufriedengeben, nur Reparaturbetrieb für den Kapitalismus“ zu sein. Er fragte, wo der Initiativantrag zur wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung bleibe. Damit schloß Kulwein ein von La-

fontaine geschriebenes Papier wie auch das Manifest zur Erneuerung aus, das aus den Reihen der Linken gekommen ist. Andere Delegierte kritisierten, die Verfasser des linken Manifestes sollten aus ihrem Märchenschloß herauskommen und sich an den Realitäten messen.