nd-aktuell.de / 18.11.1995 / Kultur / Seite 12

Neugier auf den weisen Lehrer

Wer in der nächsten Zeit nach Paris reist, sollte Zeit für einen Besuch im Ausstellungszentrum Grand Palais einplanen. Eine Cezanne-Ausstellung, wie es sie seit 1936 in der französischen Hauptstadt nicht mehr gegeben hatte, veranlaßte selbst die Inhaber von Jahreskarten der Museen bei der ihnen vorbehaltenen Vorbesichtigung zu einem geduldigen, stundenlangen Schlangestehen. So war es auch vor zwei Jahren in der Kunsthalle in Tübingen. Weshalb üben die Bilder von Paul Cezanne (1839-1906) eine solche Faszination aus?

Auf den ersten Blick fehlt ihnen alles Aufregende. Sie sind eher spröde und schweigsam. Die Themenskala ist begrenzt und konventionell: hauptsächlich Stilleben, Landschaften, Sitzende. Nur verhältnismäßig wenige Bilder beunruhigen durch szenische Darstellungen, die dann allerdings ungewöhnlich dramatisch und obendrein fast nie völlig entschlüsselbar sind. Zahlreiche Arbeiten blieben offensichtlich unvollendet. Zeichnungen belegen ein intensives Lernen und Suchen. Sehr vieles von dem, was sich heute als Malerei oder allgemeiner als bildende Kunst gebärdet, hat wenig oder nichts mit Cezanne gemein. Und doch weiß jeder Künstler und Kunstkenner, daß alles, was wirklich wichtig und gut in der Kunst des 20. Jahrhunderts war, seine ent-

scheidenden Wurzeln im Werk und in der Schaffensweise Cezannes hat. So spürt wohl so mancher gerade angesichts dessen, was gegenwärtig den vorherrschenden oder auffäl-