nd-aktuell.de / 15.10.1996 / Politik / Seite 13

Eine Pionierin der Mikroanalyse

Die Physiko Chemikerin Erika Cremer starb 9 6j ährig in Innsbruck Von Gerhard Oberkofler

Im hohen Alter von 96 Jahren ist in Innsbruck am 21. September die Physikochemikerin Erika Cremer gestorben. Als Absolventin der staatlichen Elisabethschule zu Berlin begann Erika Cremer 1921 an der Berliner Universität ein Chemiestudium. Ihre erste Stunde hörte sie beim berühmten Walter Nernst, zu ihren Lehrern zählten die Berliner Kapazitäten wie Max Planck und Max von Laue, auch der Österreicher Friedrich August Paneth. Auf ihr spezielles Arbeitsgebiet wurde sie durch Max Bodenstein hingeführt, der sich bereits seit 1913 mit photochemischen Arbeiten beschäftigt hatte und bei dem sie ihre ungewöhnlich gute Dissertation »Über die Reaktion von Chlor, Wasserstoff und Sauerstoff im Licht« fertigstellte. Am 11. Oktober 1927 promovierte sie magna cum laude an der Berliner Universität. Zunächst setzte sie ihre reaktionskinetischen Studien bei Karl Friedrich Bonhoeffer am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin-Dahlem fort, kam als Assistentin zu Georg von Hevesy nach Freiburg und schließlich zurück nach Dahlem an das Institut von Fritz Haber zu Michael Polanyi.

Nach der Machtübernahme der Nazis mußte Cremer das frühere Habersche Institut verlassen. Sie konnte eine Zeitlang in München arbeiten, erhielt im Sommer 1936 eine kurzfristige Tätigkeit an der

Universität Kiel und kehrte im Frühjahr 1937 als Privatassistentin von Otto Hahn an das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie zurück, wo sich 1938 habilitierte.

Im Sommer 1940 übernahm Erika Cremer eine physikalische Dozentur an der neugeschaffenen Lehrkanzel für physikalische Chemie in Innsbruck unter der Leitung von Carl Angelo Knorr Obwohl sie bereit seit 1945 de facto eine Professur ausfüllte, wurde sie erst 1959 zum ordentlichen Professor berufen. Zu den hervorragendsten Leistungen zählt die erste Anwendung der Gaschromatographie für die Mikroanalyse. In diesem Zusammenhang erzählte Erika Cremer eine Anekdote über die Entstehung der Mikrochemie in Innsbruck durch den Nobelpreisträger Fritz Pregl. Der sei nach der Berufung nach Innsbruck (1910-1913) sehr unglücklich gewesen über die geringen Finanzmittel des Instituts. Ein Freund fand ihn tief deprimiert auf einer Bank im Hofgarten. Pregl jammerte, daß er nicht einmal das Geld für die Ausgangsmaterialien der ihn interessierenden Substanzen habe. Darauf sagte der Freund: Und ginge es nicht, wenn Du einfach mit kleineren Mengen arbeiten würdest? Dieser Gedanke zündete bei Pregl. So entstand aus der Not die Mikrochemie. 1946 entwickelte Cremer mit Fritz Prior in größter Armut jene Apparatur, nach deren Schema heute die üblichen Gaschromatographen arbeiten.