nd-aktuell.de / 18.01.1997 / Politik / Seite 1

im Mittelmeer

Griechenland: 300 tote illegale Einwanderer Von Rene Heilig

Agenturmeldung Ende 1996: In einem Sturm sind am zweiten Weihnachtsfeiertag vor der griechischen Ägäis-Küste 21 Seeleute ums Leben gekommen. Was wirklich geschah, deckte PRO ASYL auf.

Mit einem Frachter sollten 460 Asylsuchende aus Sri Lanka, Indien und Pakistan in Europa landen. Schweres Wetter verhinderte, daß sie von einem Fischerboot an die Küste geschafft werden konnten. »Was genau vorging, ist noch unklar Es wird berichtet, daß

man die Einwanderer mit Waffengewalt in die Fluten trieb.«

300 Menschen ertranken. Michael Stenger, PRO ASYL-Mitarbeiter und Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, recherchierte beim griechischen Untersuchungsführer Obwohl das Grauen bereits am 26. Dezember geschah, verhört der noch immer 51 Tamilen, die in sechs, verschiedenen Gefängnissen sitzen. Nach sechs Flüchtigen werde weiter gefahndet. Gegen den Kapitän des Frachters - einen Libanese - und drei griechische Besatzungsmitglieder sei Anklage wegen Mordes erhoben.

Die Bundesregierung und deutsche Behörden scheinen nicht frei von »morali-

scher Mitschuld«, denn »sie sind die treibende Kraft, Europa zu einer Festung auszubauen«, betont PRO ASYL. Möglich, daß bürokratische Trägheit hinzukam. Zumindest einer der ertrunkenen Tamilen wollte nach Deutschland. In München leben sein Vater und Geschwister Legal. 1995 beantragte der junge Mann bei der deutschen Botschaft in Colombo die Familienzusammenführung. Doch die Münchner Ausländerbehörde vermochte es innerhalb von zwei Jahren nicht, die notwendige Stellungnahme zu verfassen. Auch ein Anwalt konnte die Behörde nicht zur Mitarbeit bewegen. Der Hinhaltetaktik müde, vertraute sich der 18jährige Schleppern an.

Nach ND-Recherchen hat sich inzwischen auch der Suchdienst des Deutschen Rote Kreuzes eingeschaltet. Bei den Kreisverbänden Bielefeld und Essen meldeten sich ausländische Mitbürger, die um die Weihnachtszeit vergebens Verwandte erwarteten. Michael Stenger befürchtet, daß die Überlebenden in ein »sicheres« Drittland abgeschoben werden. Vermutlich in den Libanon.