Gestern wurde Heiner Carow auf dem Goethe-Friedhof in Potsdam-Babelsberg beigesetzt. Nur wenige Straßen weiter hatte er viele Jahre gewohnt - ausgehalten, möchte man sagen -, während mancher Kollege und auch mancher von ihm entdeckte Schauspieler sein Glück im Westen suchten. Das war nach der Wende nicht anders.als zu DDR-Zeiten. »Ich kann nicht sagen, daß ich angekommen bin. Ich lebe einfach weiter«, sagte Carow in einem seiner letzten Interviews. Daß er diesem Vorsatz so plötzlich untreu wurde, das konnten seine engsten Freunde und Mitarbeiter auch drei Wochen nach seinem Tod noch nicht fassen. Zur Trauerfeier im Studio-Kino Babelsberg waren zahlreiche Angehörige, Freunde und Kollegen gekommen. Angelica Domröse, Hauptdarstellerin in der »Legende von Paul und Paula«, und Drehbuchautor Ulrich Plenzdorf erinnerten in bewegten und bewegenden Worten an die gemeinsame Arbeit, an den liebenswerten, »chaotischen« und doch so unermüdlichen Freund.
Während der Feier wurden Ausschnitte aus Carows Filmen gezeigt, die fast alle ein Stück östlicher deutscher Kulturgeschichte sind: »Paul und Paula« natürlich, »Ikarus« und »Bis daß der Tod euch scheidet«, die von unerfüllten Sehnsüchten handeln, »Coming Out«, der er-
ste DEFA-Film über Homosexuelle, ein Coming Out auch für das immer wieder gebrochene Suchen nach Wahrhaftigkeit auf der östlichen Seite der innerdeutschen Grenze. Es sollte Carows letzter Film von Bedeutung sein.
Mit einer Ausnahme hat er nach der Wende nur noch anspruchslose Fernsehfilme gedreht. Heiner Carow hat nicht nur die nie aufgegebene Hoffnung auf die Realisierung seines »Simplicissimus«-Projekts mit ins Grab genommen, mit ihm ist auch ein Stück Hoffnung auf die Auferstehung des großen deutschen Kino-'films gestorben - anders läßt sich der Schmerz nicht erklären, der auch die Redner übermannte, die Carow nicht so nahestanden. »Man weint nur um sich selbst«, sagte Volker Schlöndorff unter Tränen. Der nach Auflösung der DEFA eingesetzte Geschäftsführer der Studio Babelsberg GmbH bekannte, er habe nie die Rolle des »Gouverneurs« übernehmen wollen und sich doch gegenüber Carow so verhalten. Den frühen Tod des Kollegen nannte er »eine Ungerechtigkeit«. - Weil Ungerechtigkeiten mit dem Tod eines Menschen nicht mehr aus der Welt geschafft werden können?
Carows Werk wird weiterleben, zumindest in diesem einen Film, der nach wie vor im Berliner Kino »Börse« läuft. Und außerdem hat er ja noch viele jüngere Kollegen, die gerne anspruchsvolle Filme ohne das Schielen auf Einschaltquoten machen würden.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/648579.ich-lebe-einfach-weiter.html