nd-aktuell.de / 26.08.1997 / Politik / Seite 1

Als Totschläger verurteilt, Krenz in Haft

Sechs Jahre, sechs Monate für letzten SED-Generalsekretär, jeweils drei Jahre für Schabowski und Kleiber / Revision angekündigt

Im Politbüroprozeß vorm Berliner Landgericht hat die 27. Große Strafkammer am Montag Egon Krenz zu sechseinhalb, Günter Schabowski und Günther Kleiber zu je drei Jahren Haft verurteilt. Sie befand Krenz des vierfachen, seine Mitangeklagten des dreifachen Totschlags »in minderschwerem Fall« für schuldig.

Berlin (ND-Dümde/Liebsch). Krenz sei als »mittelbarer Täter« für den Tod von Michael-Horst Schmidt, alle drei gemeinsam für den Tod von Michael Bittner, Lutz Schmidt und Chris Gueffroy verantwortlich, die zwischen 1984/89 an der Grenze zu Westberlin infolge von Schußverletzungen durch Grenzposten starben,

sagte der Vorsitzende Richter Josef Hoch in der mündlichen Urteilsbegründung. Durch die Mitwirkung von Krenz an zwei Beschlüssen des DDR-Verteidigungsrates und die aller Angeklagten an zwei Politbürobeschlüssen seien sie nach DDR-Recht der Anstiftung zum Mord, nach milderem BRD-Recht des Totschlags in »mittelbarer Täterschaft« schuldig. Sie hätten damit »eine Befehlskette in Gang gesetzt, an deren Ende die Inkaufnahme und Verursachung von Todesschüssen stand«. Die DDR-Grenztruppen seien »an politi- , sehe Vorgaben der SED gebunden« gewesen, deren Jahresbefehle »basierten auf dem Klassenauftrag zur Grenzsicherung«. Er sei »in der Tat ein ideologischer Schießbefehl« gewesen.

»Wer Herrschaft über das tödliche Geschehen inne hat, ist nicht nur des Unterlassens schuldig«, sagte Hoch. »Ihnen

ging es nicht darum, Menschen zu töten«, billigte er den Angeklagten zu. Krenz habe sich sogar »ernsthaft um die Reduzierung des Schußwaffengebrauchs bemüht«. Doch hätte er wie Schabowski und Kleiber »aus falsch verstandenem staatlichem Interesse gehandelt«. Da sie wußten, daß es bei der Grenzsicherung zu Todesfällen kommen kann, hätten sie schuldhaft mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Schabowski und Kleiber billigte das Gericht aber im Gegensatz zu Krenz einen »Verbotsirrtum« zu. Auch habe ihr Aussageverhalten zur Sachaufklärung beigetragen.

Krenz, dem schon am Freitag die gestern im Gerichtssaal vollzogene Verhaftung signalisiert worden war, hatte eine Erklärung vorbereitet, die sein Sohn Carsten am Nachmittag auf einer Pressekonferenz mit den Verteidigern verlas.

Darin wertet der letzte Politbürochef seine Verhaftung als »Ausdruck von Gesinnungsjustiz« und greift Bundespräsident Herzog an, weil er sich »während des Prozesses öffentlich im Sinne der Anklage« äußerte. Angesichts solch »höchst offizieller Vorverurteilung« habe er ein gerechtes Urteil nie erwartet.

Krenz appellierte an seine Verhandlungspartner aus der alten Bundesrepublik, sich an die »Gespräche mit uns vor 1990« zu erinnern. »Es muß endlich über