nd-aktuell.de / 09.10.1997 / Politik / Seite 18

Blauäugiges Treffen mit Nationalisten

Kreuzbergs Bürgermeister im Feuer der Kritik Von Peter Kirschey

Der alljährliche Verfassungsschutzbericht, herausgegeben vom Landesapit für Verfassungsschutz, steht im Prinzip jedem Bürger zur Verfügung. Und dort ist nachzulesen, wen die Behörde als extremistisch oder gefährlich einschätzt. Hätte der Bürgermeister von Kreuzberg, Franz Schulz (Bündnis 90/Grüne), einen Blick in diesen Bericht geworfen oder werfen lassen, vermutlich hätte das Treffen mit Vertretern der Vereinigung »Türk Federasyon« nicht stattgefunden.

Der Vorfall liegt schon Wochen zurück. Am 19 September hatten einige türkische Vertreter vor dem Kreuzberger Rat-

haus Antidrogen-Flugblätter verteilt. Anschließend statteten sie dem Bürgermeister in seinem Büro einen Besuch ab und ließen sich mit ihm fotografieren. Dieses Foto erschien nun in der nationalistischen türkischen Zeitung »Türkiye« und führte zu einem Aufschrei unter den politischen Kräften des Bezirks.

Im letztjährigen Verfassungsschutzbericht wird auf Seite 151 berichtet, wer sich hinter der »Föderation« verbirgt, die dem Bürgermeister ihre Aufwartung machte, und welche Zielrichtungen sie verfolgt, nämlich nationalistische, antikommunistische und antisemitische. Zur Dachorganisation gehören die sogenannten türkischen »Idealistenvereine«. In der Türkei propagieren sie einen islamischen Gottesstaat und träumen von der

Beherrschung der Welt. In Berlin wird die Zahl dieser extrem türkischen Nationalisten, die jedoch noch nicht mit spektakulären Aktionen in Erscheinung getreten sind, mit etwa 600 angegeben -Grund genug für den Berliner Verfassungsschutz, sich gründlich mit den »Idealisten« zu beschäftigen.

Schulz sieht sich »publizistisch mißbraucht«, als Opfer seiner Naivität. Seine Gegner wittern einen politischen Skandal. Möglicherweise muß er mit einem Abwahlantrag rechnen, doch dafür sind zwei Drittel der Stimmen erforderlich. Die aber dürften.mit den Stimmen von CDU und SPD nicht zusammenkommen. Für die CDU aber ist das Gruppenfoto ein gefundenes Fressen. Wurde doch in jüngster Zeit bekannt, daß extremistische türkische Gruppen in konservativen deutschen Parteien eine politische Heimat suchen. So wurde die CDU-Mitgliedschaft eines Mitgliedes der »Islamischen Gemeinschaft - Milli Görüs« publik, die beim Verfassungsschutz als islamisch-extremistische Vereinigung gilt. Es war Schulz, meint die CDU, der die Partei nach Bekanntwerden besonders scharf attackiert hatte. Nun ist er selbst in die Falle getappt.