nd-aktuell.de / 09.10.1997 / Politik / Seite 19

»Zweiland« - eine Mixtur

Sasha Waltz' Sicht auf die Deutschlandbilder Von Mario Stumpfe

Eine,!!,,Cocktail kann man mixen, um schneller'-besoffen zu werden. Trabbi-Kraftstoff kann man mixen, um einen alten Motor in Gang zu halten. Farbe kann man mixen, um eine neue zu kreieren. Menschen, Länder, Geschichten kann man, besonders in Deutschland, nicht mixen. Die Menschen sterben dann, verkommen an der Mixtur. Das entstandene Gebilde wird ein Monster, frißt sich und die Welt.

Die Unmöglichkeit des Funktionierens und die Folgen der Mixtur Deutschland sind Ausgangspunkte für Sasha Waltz & Guests' neue choreographische Produktion »Zweiland« in den Sophiensälen, ein Beitrag zum Thema »Deutschlandbilder«. Der Untergang beginnt dort, wo die Ein-

heit gesetzt war. Zwei Tanzkörper verwirken sich zu einem Körper, zum konstruierten Zwilling, entworfen auf den “Reißbrettern'der Mächtigen. »? ...,

Die Figur'ist ein Monster. Zwei Münder^ verlangen Nahrung, zwei Köpfe haben ihre Gedanken, ihre Geschichte. Ein Land entsteht im liebenden Kampf der Leiber. Doch der Klebstoff will nicht halten. Die Konstruktion droht zu zerreißen, die Körper kränkeln am Bazillus Zwietracht. Ein dritter Körper kommt hinzu wie viele weitere. Er bleibt am konstruierten Einheitsland kleben. Aber das glorreiche Doppel zersplittert schließlich in Millionen Einzelteile. Eine Bewegungsrichtung, ein Plan ist nicht mehr auszumachen. Jedes Einzelteil verliert und verirrt sich in seiner Kultur und Identität: »Zweiland«, Deutschland, vieler Vaterland. Wenn auch nicht mit der inhaltlichen Dichte,

wie man sie von der Tänzerin und Choreographin Sasha Waltz kennt und zu schätzen weiß, entwickelt das Stück viele gelungene Bilder zum Stand der Dinge in Deutschland. Hätte man allerdings einen weniger konzeptionellen Titel gewählt, könnte das Stück von allem und nichts handeln. Denn spannend und interessant gelingt »Zweiland« weniger durch die transportierten Inhalte, sondem eher durch die Choreographie und die hervorragenden, multitalentierten Tänzer - Luc Dunberry, Klaus Jürgens, Juan De Garaio Esnaola, Nicola Mascia, Takako Suzuki, Laurie Young und Vivianne R. de Brito.

Insofern ist es Sasha Waltz wiederum gelungen, neue Akzente für die wenig lustvolle Berliner Tanzszene zu setzen und ein neues Genre zu kreieren: das Tanzicel, etwas, das besonders leicht, schnell und technisch perfekt umgesetzt daherkommt und einfach amüsiert. Das ist nicht wenig. Sasha Waltz & Guests können jedoch mehr.