nd-aktuell.de / 28.09.1998 / Politik / Seite 16

Abschied

Heinz Schumacher, Bendorf7Rhein

Olympia Seoul 1988. »Ich sage gar nichts, bis die Ergebnisse der Dopingkontrolle vorliegen«, schnaubte die US-Sprinterin Evelyn Ashford als geschlagene Exolympiasiegerin nach dem furiosen 100-m-Lauf-Sieg ihrer Landsmännin Florence Joyner-Grifßth. Im Olympischen Dorf und im Olympiastadion drehte ich damals einen Videokurzfilm mit »Flo-Jo«. In einem meiner alten Notizbücher entdeckte ich nun noch folgende Zeilen.

»Was ist das für eine Frau, das Glamourgirl Nummer 1 des Weltsports fromm und lebenslustig zugleich, voller kindlicher Naivität und zugleich weiblicher List, anrührend in ihrer Sanftheit, aber zugleich so etwas wie ein brodelnder Vulkan mit Reißverschluß, gelegentlich ein ahnungsloser Engel, aber auch wiederum mit orientalischem Geschäftssinn ausgestattet, fest im Glauben und fest im Fleisch. Die mannigfaltigsten Entwürfe der Weiblichkeit sieht man in ihr vereint.« Von ihrem Ehemann und Trainer AI Joyner erfuhr ich bei dieser Gele-

genheit. in Seoul, er habe zu Hause und auf dem Trainingsplatz gemäß dem Bibelwort »Er soll dein Herr sein« das absolute Sagen. Hatten nicht Kritiker der farbigen Schönheit früher behauptet, Florence benötige für ihre Zunge einen Waffenschein? »Eheherr« AI Joyner war die Zähmung der Widerspenstigen fast vollkommen gelungen.

Man glaubte es der attraktiven jungen Dame aufs Wort, wenn sie behauptete, eine kluge Frau könne niemals durch Komplimente entwaffnet werden, ein Mann immer' Was sie Kindern bei ihren Vorträgen in Schulen einzutrichtern versuchte, war auf diesen Nenner zu bringen: Setzt Lernen immer an die erste Stelle und Sport an die zweite! Sie wußte übrigens genau: Physische Schönheit ist nicht unbedingt ein Ausweis von Noblesse im Denken.

Flo-Jo verstarb vor acht Tagen an einem Schlaganfall, 38 Jahre alt. Vorgestern wurde sie beigesetzt. Auch wenn nun wieder Dopingerüchte ins Kraut schießen: Evelyn Ashford mußte schon damals zur Kenntnis nehmen, was jetzt Schnüfflern und Argwöhnern die Lust am Verdächtigen nehmen sollte - alle Proben verliefen negativ Den Schlußsatz meines 1988er Features über die Begegnung mit Florence Griffith in Seoul halte ich -jetzt in der Vergangenheitsform - aufrecht. Sie war der Prototyp der Natur in ihrer bezauberndsten Erscheinung, der Menschenfrau.