nd-aktuell.de / 09.10.1998 / Brandenburg / Seite 17

Plakate von gestern

Rainer Funke

Wochenlang gehörten Plakate mit ungewöhnlich freundlich dreinschauenden Politikern zum alltäglichen Stadtleben. Mit dicken Bakken, langen Nasen, weißen Zähnen, merkwürdig ehrlichen Blicken und entsetzlich frommen Sprüchen wollte man uns ein/zwei Stimmen entlocken.

Das hat nun mit der Wahl ein vorläufiges Ende gefunden. Dem Himmel sei Dank dafür Die Plakate haben ihre Schuldigkeit getan. Und können deswegen in Kellern, Museen, auf Dachböden,

Komposthaufen, Müllhalden verschwinden. Nichts ist vergänglicher und so nichtssagend wie ein Plakat von gestern. Und wenige Köpfe wollen wirklich daran erinnert werden, was dereinst in oft allzu schlichten Losungen versprochen wurde.

So weit, so auch gut. Denn die Basistruppen und -firmen der Parteien waren diesmal fleißiger als gewöhnlich und haben die Stadt rasch entplakatiert. Nun springt uns wieder Werbung pur an, entpolitisiert und euphorisch, wieder Camel zu kaufen, nur nach Gurgelwasser zu hauchen, das rechte Waschmittel zu gebrauchen, nicht ohne neue Schuhe zu laufen, Whiskey zu trinken...

Nicht überall indes ist das Werk der Entplakatierung auch wirklich gelungen. In der Straße Alt Friedrichsfelde etwa bleibt uns auch weiterhin der massenweise Anblick von Plakaten ohne

Köpfe, aber mit Dumpfsprüchen der Neonazi- und rechtsextremistischen Parteien nicht erspart.

Was vor der Wahl zur Zumutung geriet, ist es danach nicht minder Nicht einmal der allerhand gewöhnten Berliner Stadtreinigung wäre zuzumuten, solch plakatierten gedanklichen Schutz wegzuräumen. Auch Jungsozialisten und Autonome sollen abgewinkt haben: Sie wollen sich mit solchen Plakaten nicht erwischen lassen. Und die Hoffnungsträger der Szenekunst, die Graffiti-Sprayer, haben zur allgemeinen Verblüffung solche Plakate noch nicht als Zuspray-Leinwand entdeckt.

Da die Rechtsextrempolitiker kaum ihre Werbesprüche selbst entfernen werden, erwartet man von den Herbststürmen, daß sie endlich mal ein gutes Werk tun. Und nicht immer nur die Feuerwehr in Atem halten.