nd-aktuell.de / 04.08.1999 / Politik / Seite 10

Der Rebell

Günter Biere (55)

traut sich, ein deutsches Gesetz zu ignorieren: das Ladenschlussgesetz

ND-Foto: B. Lange

Ein Gesetzesbrecher sollte nicht mit Volkes Jubel rechnen dürfen. Eigentlich. Günter Biere, Geschäftsführer des »Kaufhof« am Berliner Alexanderplatz, gilt seit Sonntag als Rebell. Weil er sich traute, ein deutsches Gesetz zu ignorieren. Erst strich er »sonntags nie«, wie das

Ladenschlussgesetz vorschreibt, aus seinem Wortschatz. Dann nutzte er gewitzt vom Berliner Senat vorgeschriebene Sondergenehmigungen, die zum Beispiel den Alex zum Tourismusgebiet erklären und damit den sonntäglichen Verkauf touristischer Waren genehmigen. Jeder im Kaufhaus angebotene Artikel vom Aal bis zum Zollstock bekommt an der Kasse den Aufkleber »Berlin Souvenir«, und ausgetrickst ist die Reglementiererei. Wo gibt's das sonst. Applaudierende Kunden beim Türöffnen. 50 000 Berliner bescherten dem Haus in fünf Stunden 15 Prozent mehr Umsatz als an Wochentagen in elf Stunden, Dies bei draußen 30 Grad Hitze, weshalb der Ansturm vermutlich als Demonstration für ein Ladenöffnungsgesetz gewertet werden darf.

Günter Biere ist gelernter Händler Im sächsischen Döbeln geboren, lernte er 1958 bei Kaufhof in Köln den Job von der Pike auf, arbeitete in verschiedenen deutschen Filialen, wurde 1990 als Chef nach Chemnitz und 1996 nach Berlin ins frühere »Centrum«-Warenhaus geschickt. Eines der umsatzstärksten Häuser der Hauptstadt zu leiten, dürfte für

Biere Verpflichtung sein, als Frontmann in einer unendlichen Diskussionsgeschichte vorzupreschen. Mit Glück und guten Argumenten hat er den Personalrat auf seiner Seite: 45 neue Arbeitsplätze, 20 zusätzliche Leerstellen, Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2001 und 120-prozentiger Lohnzuschlag an Sonntagen überzeugten. Die Mitarbeiter ziehen freiwillig mit.

Dass laut Umfragen zwei Drittel der Deutschen auch sonntags einkaufsbummeln wollen, bringt den Manager eines Konzerns in Bewegung, nicht Politiker, Gewerkschafter und Kirchen. Geharnischte Beschimpfungen und gerichtliche Auseinandersetzungen mag Biere aushalten; wie er mit der vom Senat angedrohten polizeilichen Schließung nächsten Sonntag umgeht, beobachten andere Häuser teils mit Spannung, teils mit Häme. Biere will den Kampf durchziehen wer alles will, bekommt oft etwas. Der Jubel der Kölner Konzernzentrale über die Gratis-Werbung in allen Medien ist ihm sicher Und kann ja sein, der Rechtsbruch beschleunigt die Reform eines überlebten Gesetzes. Karin Nölte