nd-aktuell.de / 14.11.2012 / Kultur / Seite 1
Freundlichkeit als harte Bandage
Zur Wahl des Regisseurs Andreas Dresen als Brandenburger Verfassungsrichter
Hans-Dieter Schütt
Andreas Dresen, der Filmregisseur,
ist Verfassungsrichter im Bundesland Brandenburg. Es ist aber falsch zu sagen,
ein Künstler gehe in die Politik. Er tritt ihr in den Weg. Politik braucht das,
denn wenn sie Landkarten mit vielen Wegen sieht, stürzt sie in
Bereinigungspanik: Viele Wege verderben die Linie. Deshalb ist Kontrolle gut.
Ein Verfassungsrichter tritt der
Politik nicht in die Seite, sondern zur Seite. Er geht auch nicht über sie
hinweg, aber sehr wohl über sie hinaus – und das ist gut möglich, Politik klebt
nämlich am Boden, klebt an den Claims, die sie sich selber bestellt. Jede Partei
ein Beet. Ein bunter Irrgarten. Gerechtigkeit, Ausgleich ist da immer etwas, das
von außen kommen muss. Künstler sind: außen, weil sie ganz nah dran sind - am
Menschen. Näher dran als Politik, Politik will immer nur dranbleiben, das ist
Arbeit an der Entfernung vom Menschen.
Man darf sich in Andreas Dresen nicht
täuschen, sein oft beschworener „Mut zur Freundlichkeit“ ist im Grunde eine
harte Bandage – denn Freundlichkeit ist nicht Verträglichkeit, sondern eine
philosophische Kategorie. Und Philosophie ist die Kunst des Fragens, des
Zweifels, des Bohrens; Politik soll nicht behaupten, ihr behage das. Aber
welches Gesellschaftssystem bestellt Verfassungsrichter außerhalb herrschender
Politik? Man stelle sich vor: Heiner Carow wäre Verfassungsrichter im SED-Staat,
der hausarrestierte Filmregisseur Jafar Panahi in Iran, und jetzt, auf dem
chinesischen Pomp-Parteitag, beschlössen die Kommunisten, diese Volksfreunde per
se, so ein paar Rechts-Vermittler aus den Reihen kritischer Künstler.
Andreas Dresen ist
Verfassungsrichter. Sein erster Spielfilm hieß „Stilles Land“. DDR. Er wird für
Unruhe sorgen. Das Land soll nicht still sein, sondern bewegt. Bürgerbewegt.
Dafür steht der Name eines der wichtigen Künstler dieser Republik.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/804307.freundlichkeit-als-harte-bandage.html