nd-aktuell.de / 18.01.2013 / Politik / Seite 5

»Ethik« verhindert Menschlichkeit

Ein mutmaßliches Vergewaltigungsopfer wurde in Köln von zwei katholischen Hospitälern abgewiesen

Marcus Meier
Eine 25-Jährige wurde mit K.o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt, möglicherweise vergewaltigt und dann von zwei katholischen Krankenhäusern abgewiesen. Politiker und Beratungsstellen sind entsetzt. Die Staatsanwaltschaft Köln sieht keinen Anfangsverdacht für eine Straftat.

Die Empörung war gestern groß, einen Tag, nachdem bekannt geworden war, dass gleich zwei Kölner Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft einer wahrscheinlich vergewaltigten jungen Frau Hilfe verweigert hatten. »Es ist unbarmherzig und menschenverachtend, Opfern von Vergewaltigung die Tür zu weisen«, sagte der in Köln wohnende Grünenpolitiker Volker Beck. In einem Brief forderte Beck den Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner auf, »diese Praxis in den katholischen Einrichtungen seiner Diözese unverzüglich abzustellen«.

Diese Praxis meint: In katholischen Krankenhäusern des Rheinlandes dürfen Vergewaltigungsopfer nicht mit Behandlung oder auch nur einer gynäkologischen Untersuchung rechnen, die Spuren des Verbrechens gerichtsverwertbar sichern würde. Das lehnen diese Einrichtungen aus »ethischen« Gründen ab. So hatte es eine »Ethikkommission« unter Beteiligung von Kardinal Meisner vor zwei Monaten beschlossen. Denn bei einer solchen Untersuchung müssten Ärzte das Opfer wegen einer drohenden Schwangerschaft und über die »Pille danach« beraten, die, sofern früh verabreicht, selbige mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert. Seitdem müssen Mitarbeiter dieser Hospitäler mit fristloser Kündigung rechnen, sofern sie dieser »Ethik« zuwider handeln, enthüllte der »Kölner Stadtanzeiger«.

Das Blatt berief sich dabei auf die Erfahrungen der Notfallärztin Irmgard Maiworm. Sie hatte am 15. Dezember eine 25-Jährige erstbehandelt, die wahrscheinlich mit K.o.-Tropfen auf einer Party außer Gefecht gesetzt wurde und einen Tag später verwirrt und mit Gedächtnislücken auf einer Parkbank aufwachte. Die Notärztin konnte eine Vergewaltigung nicht ausschließen und versuchte deshalb, ihre Patientin in ein Krankenhaus zu bringen, wo sie hätte untersucht werden sollen. Doch gleich zwei Krankenhäuser lehnten es auf telefonische Anfrage ab, die junge Frau aufzunehmen. Beide werden von einer Stiftung des katholischen Frauenordens »Cellitinnen zur hl. Maria« betrieben, die knapp 40 medizinische und Pflegeeinrichtungen in Köln, Bonn, Wuppertal sowie Düren und Kleve unterhält.

»Die Privatisierung von Krankenhäusern zugunsten kirchlicher Träger war ein Fehler. So werden die Patienten den merkwürdigen Moralvorstellungen der Kirchen ausgeliefert«, ärgert sich Gundild Böth, Sprecherin der nordrhein-westfälischen Linkspartei. »Wir brauchen wieder kommunale Träger, damit sich solch ein Fall nicht wiederholt«, forderte Böth.

Sören Bangert, der die Beratungsstelle von »Pro Familia« in Köln leitet, zeigt sich entsetzt: »Wenn einer Frau die Untersuchung nach einer möglichen Vergewaltigung verweigert wird, ist das für mich unterlassene Hilfeleistung.« Die Frau habe sich in einer Krisensituation befunden. »In einem solchen Zustand kann man doch niemanden wegschicken.«

Von unterlassener Hilfeleistung geht man bei der Staatsanwaltschaft Köln nicht aus. »Nach dem, was wir bisher von Medien und Polizei erfahren haben, liegt kein Anfangsverdacht vor«, so Ulrich Bremer, Pressesprecher der Behörde, gegenüber »nd«. Das Opfer sei bereits »in ärztlicher Obhut« gewesen, unterlassene Hilfeleistung beziehe sich jedoch stets auf einen akuten Unglücksfall, so der Oberstaatsanwalt.

Die Betreibergesellschaft beider Krankenhäuser weist den Vorwurf ebenfalls zurück. Sie betont, dass »eine vollumfängliche medizinische Versorgung« auch für Opfer sexueller Delikte in den Häusern gewährleistet sei. Lediglich die »Pille danach« muss demgemäß von externen Ärzten verschrieben werden. Im Übrigen basiere die Abweisung der 25-Jährigen wohl auf einem »Missverständnis«, das derzeit aufgearbeitet werde.