»Ethik« verhindert Menschlichkeit

Ein mutmaßliches Vergewaltigungsopfer wurde in Köln von zwei katholischen Hospitälern abgewiesen

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine 25-Jährige wurde mit K.o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt, möglicherweise vergewaltigt und dann von zwei katholischen Krankenhäusern abgewiesen. Politiker und Beratungsstellen sind entsetzt. Die Staatsanwaltschaft Köln sieht keinen Anfangsverdacht für eine Straftat.

Die Empörung war gestern groß, einen Tag, nachdem bekannt geworden war, dass gleich zwei Kölner Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft einer wahrscheinlich vergewaltigten jungen Frau Hilfe verweigert hatten. »Es ist unbarmherzig und menschenverachtend, Opfern von Vergewaltigung die Tür zu weisen«, sagte der in Köln wohnende Grünenpolitiker Volker Beck. In einem Brief forderte Beck den Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner auf, »diese Praxis in den katholischen Einrichtungen seiner Diözese unverzüglich abzustellen«.

Diese Praxis meint: In katholischen Krankenhäusern des Rheinlandes dürfen Vergewaltigungsopfer nicht mit Behandlung oder auch nur einer gynäkologischen Untersuchung rechnen, die Spuren des Verbrechens gerichtsverwertbar sichern würde. Das lehnen diese Einrichtungen aus »ethischen« Gründen ab. So hatte es eine »Ethikkommission« unter Beteiligung von Kardinal Meisner vor zwei Monaten beschlossen. Denn bei einer solchen Untersuchung müssten Ärzte das Opfer wegen einer drohenden Schwangerschaft und über die »Pille danach« beraten, die, sofern früh verabreicht, selbige mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert. Seitdem müssen Mitarbeiter dieser Hospitäler mit fristloser Kündigung rechnen, sofern sie dieser »Ethik« zuwider handeln, enthüllte der »Kölner Stadtanzeiger«.

Regelungen in katholischen Krankenhäusern

Dass katholische Kliniken Patientinnen nicht behandeln, die um eine Untersuchung zur Beweissicherung bitten, wie das Vergewaltigungsopfer in Köln, ist offenbar kein Einzelfall. Peggi Liebisch von der Beratungsstelle pro Familia sagte gestern dem »nd«: »In einigen katholischen Kliniken wurden bereits Frauen in Notsituationen abgewiesen. Das haben interne Untersuchungen von uns ergeben«.

In katholischen Kliniken in Deutschland wird grundsätzlich keine Notfall-Abtreibung vorgenommen. Diese wird von der katholischen Kirche als widernatürlich angesehen. Das bestätigte ein Sprecher des Katholischen Krankenhausverbands Deutschland gegenüber »nd«. Das Verbot betrifft sowohl die »Pille danach« als auch das Einsetzen einer Spirale. Grundsätzlich erlaubt sind hingegen Untersuchungen zur Spurensicherung bei einem Vergewaltigungsverdacht.

Der katholische Wohlfahrtsverband Caritas und der Sozialdienst katholischer Frauen beraten Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind. Die Berater meinen, dass die Gespräche »völlig offen« seien. Ein Beratungsschein wird von den Stellen nicht ausgegeben. Dieser ist nämlich nach der Beratungsregelung Voraussetzung dafür, dass eine Frau ihr Kind bis zur 12. Schwangerschaftswoche legal abtreiben kann. Dies wird von den katholischen Einrichtungen grundsätzlich nicht unterstützt.

Katholische Krankenhäuser spielen besonders in Westdeutschland eine wichtige Rolle. Der Katholische Krankenhausverband Deutschlands vertritt bundesweit etwa 420 Kliniken in katholischer Trägerschaft mit etwa 98 000 Betten und rund 165 000 Beschäftigten. In diesen Krankenhäusern werden jährlich mehr als 3,5 Millionen Patienten stationär und fünf Millionen ambulant behandelt. Deutschlandweit existieren insgesamt rund 2050 Kliniken.

Aert van Riel

Das Blatt berief sich dabei auf die Erfahrungen der Notfallärztin Irmgard Maiworm. Sie hatte am 15. Dezember eine 25-Jährige erstbehandelt, die wahrscheinlich mit K.o.-Tropfen auf einer Party außer Gefecht gesetzt wurde und einen Tag später verwirrt und mit Gedächtnislücken auf einer Parkbank aufwachte. Die Notärztin konnte eine Vergewaltigung nicht ausschließen und versuchte deshalb, ihre Patientin in ein Krankenhaus zu bringen, wo sie hätte untersucht werden sollen. Doch gleich zwei Krankenhäuser lehnten es auf telefonische Anfrage ab, die junge Frau aufzunehmen. Beide werden von einer Stiftung des katholischen Frauenordens »Cellitinnen zur hl. Maria« betrieben, die knapp 40 medizinische und Pflegeeinrichtungen in Köln, Bonn, Wuppertal sowie Düren und Kleve unterhält.

»Die Privatisierung von Krankenhäusern zugunsten kirchlicher Träger war ein Fehler. So werden die Patienten den merkwürdigen Moralvorstellungen der Kirchen ausgeliefert«, ärgert sich Gundild Böth, Sprecherin der nordrhein-westfälischen Linkspartei. »Wir brauchen wieder kommunale Träger, damit sich solch ein Fall nicht wiederholt«, forderte Böth.

Sören Bangert, der die Beratungsstelle von »Pro Familia« in Köln leitet, zeigt sich entsetzt: »Wenn einer Frau die Untersuchung nach einer möglichen Vergewaltigung verweigert wird, ist das für mich unterlassene Hilfeleistung.« Die Frau habe sich in einer Krisensituation befunden. »In einem solchen Zustand kann man doch niemanden wegschicken.«

Von unterlassener Hilfeleistung geht man bei der Staatsanwaltschaft Köln nicht aus. »Nach dem, was wir bisher von Medien und Polizei erfahren haben, liegt kein Anfangsverdacht vor«, so Ulrich Bremer, Pressesprecher der Behörde, gegenüber »nd«. Das Opfer sei bereits »in ärztlicher Obhut« gewesen, unterlassene Hilfeleistung beziehe sich jedoch stets auf einen akuten Unglücksfall, so der Oberstaatsanwalt.

Die Betreibergesellschaft beider Krankenhäuser weist den Vorwurf ebenfalls zurück. Sie betont, dass »eine vollumfängliche medizinische Versorgung« auch für Opfer sexueller Delikte in den Häusern gewährleistet sei. Lediglich die »Pille danach« muss demgemäß von externen Ärzten verschrieben werden. Im Übrigen basiere die Abweisung der 25-Jährigen wohl auf einem »Missverständnis«, das derzeit aufgearbeitet werde.

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