nd-aktuell.de / 03.08.2013 / Politik / Seite 4

Politik ohne Migranten

Nur vier Prozent aller Bundestagskandidaten kommen aus Einwandererfamilien

Fabian Lambeck
Menschen mit Migrationshintergrund sind in der deutschen Politik unterrepräsentiert. Wie krass dieses Missverhältnis tatsächlich ist, zeigt eine aktuelle Untersuchung des »Mediendienstes Integration«.

Jeder fünfte Bundesbürger hat einen Migrationshintergrund. Angesichts dieser Zahlen wirkt es schon befremdlich, dass von den 620 Bundestagsabgeordneten lediglich 20 aus Zuwandererfamilien stammen. An diesem Missverhältnis wird sich auch in der kommenden Legislaturperiode kaum etwas ändern. Der unabhängige »Mediendienst Integration« hat sich die Kandidatenlisten zur Bundestagswahl genauer angesehen und dabei festgestellt, dass nur vier Prozent aller Bewerber aus Migrantenfamilien kommen. Insgesamt 81 Kandidaten hat der Mediendienst gezählt.

Die mit Abstand meisten Kandidaten aus Zuwandererfamilien sind bei den Grünen zu finden. Hier treten insgesamt 23 an. LINKE und SPD liegen mit jeweils 18 Kandidaten auf Platz zwei, während die FDP neun und die Union nur sechs Bewerber ins Rennen schickt. Ganz düster sieht es bei der CSU aus: Auf der 70 Namen umfassenden Kandidatenliste finden sich nur Namen wie Straubinger, Meier oder Hasselfeldt. Menschen mit Migrationshintergrund scheint es im weiß-blauen Wunderland nicht zu geben. Auch die neuen Bundesländer haben Nachholbedarf: In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen und Sachsen tritt kein Kandidat aus einer Einwandererfamilie an.

Setzt man die Anzahl der Kandidaten ins Verhältnis zu Bevölkerung und Parteigröße, schneiden auch die westdeutschen Flächenländer denkbar schlecht ab. Während in Berlin auf einen Bewerber mit Migrationskontext 300 000 Einwohner kommen, sind es in Nordrhein-Westfalen 2,2 Millionen.

Doch selbst dort, wo die Migrationskontextler antreten, ist ihr Einzug in den Bundestag alles andere als sicher. Nach Angaben des Mediendienstes sind bei SPD, LINKEN und Grünen jeweils fünf Plätze »aussichtsreich«. Bei der CDU hat keiner der sechs Bewerber einen sicheren Listenplatz. Allerdings kandidieren zwei in Wahlkreisen, in denen die CDU 2009 die Direktwahl gewonnen hatte. Von den neun Kandidaten der Liberalen könnten es zwei in den Bundestag schaffen. Vorausgesetzt, die FDP kommt über die Fünf-Prozent-Hürde. Sollte den Piraten der Einzug gelingen, dann käme auf Listenplatz zwei auch ein »deutsch-schwedischer Doppelstaatler« ins Parlament.

Nach Schätzungen des Mediendienstes haben lediglich 15 bis 20 Kandidaten ein reelle Chance »auf eine aktive politische Teilhabe«. Demzufolge würden »etwa drei Prozent der Abgeordneten die ethnische Vielfalt Deutschlands repräsentieren«.

Doch warum finden so wenige Menschen mit Migrationshintergrund den Weg in die Politik? »Schon die Aufstellung der Kandidatenlisten ist problematisch«, meint Hilmi Kaya Turan vom Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg gegenüber »nd«. So müssten sich die Bewerber vorab die entsprechenden Mehrheiten in der Partei organisieren. »Da fehlt den Migranten häufig die Unterstützung der Parteibasis.«

Auch wenn sich die Situation in den vergangenen Jahren gebessert habe, sollten sich die Parteien dem Thema endlich stellen, fordert Turan. »Warum diskutiert man nicht einmal auf einem Parteitag, warum es so wenige Migranten an die Spitze schaffen.« Fehlendes Interesse an Politik schließt Turan als Ursache jedenfalls aus.