nd-aktuell.de / 13.08.2013 / Sport / Seite 19

Nicht mal geschenkt

Das Desinteresse an den Weltmeisterschaften in Russland nervt die Leichtathleten

Cai-Simon Preuten und Kristof Stühm, SID
Halbleere Ränge selbst beim 100-m-Finale mit Superstar Usain Bolt: Die Athleten sind genervt von der Stimmung im Luschniki-Stadion, die Kritik an den Organisatoren der Leichtathletik-WM in Moskau wächst.

Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Moskau sind gerade einmal drei Tage alt, da hat die Stimmung beim weltgrößten Sportereignis des Jahres bereits ihren Tiefpunkt erreicht. Selbst Superstar Usain Bolt sorgte bei seinem Sprint zur Goldmedaille über 100 Meter am Sonntagabend nicht für die Wende im Luschniki-Stadion und wunderte sich später: »Als ich mich aufgewärmt habe, hat niemand gelacht. Alle waren viel zu ernst.«

Das Desinteresse der Russen an den Titelkämpfen steckt auch die Sportler an. Besonders die drei deutschen Zehnkämpfer schimpften nach ihrem Wettkampf über die Atmosphäre im Olympiastadion von 1980. »Bis zum Hochsprung dachte ich, das wäre eine Trainingseinheit. Da waren vielleicht 20 Leute und es wurde kaum geklatscht«, bemängelte der neue Vizeweltmeister Michael Schrader. Sein Kollege Rico Freimuth, dessen Onkel Jörg 1980 an gleicher Stelle Bronze im Hochsprung gewann, drückte sich drastischer aus: »Das scheint denen hier am Arsch vorbeizugehen. Wenn bei einem Fußball-Zweitligaspiel 5000 Leute kommen und bei einer Leichtathletik-WM sind es nur 1000, müsste man sich etwas einfallen lassen. Das ist einfach nur bitter und schade.« Auch Europameister Pascal Behrenbruch hatte es so richtig die Laune verhagelt. »Die Stimmung ist scheiße. Man schläft ja ein«, sagte er: »Es kann nicht sein, dass eine WM in ein Land vergeben wird, das nicht hinter der Leichtathletik steht. Vielleicht muss man öfter dasselbe Land auswählen. Schweden zum Beispiel, auch Berlin war gut.«

Dabei sollten die Weltmeisterschaften - 33 Jahre nach den olympischen Boykottspielen von Moskau - der glanzvolle Auftakt zu einer neuen Ära der sportlichen Großveranstaltungen in Russland sein. Im kommenden Jahr finden in Sotschi die Olympischen Winterspiele statt, 2018 ist Russland Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft.

Nun sind Organisatoren und Ausrichter auf der Suche nach den Gründen für das Ausbleiben der Zuschauer, schließlich seien im Vorfeld doch 80 Prozent der Karten verkauft worden, hieß es immer. »Vielleicht haben einige Leute Tickets gekauft und sind nicht gekommen«, sagte Stabhochsprunglegende Sergej Bubka. Der Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF vermutet, dass die Moskauer bei Temperaturen von mehr als 30 Grad lieber aufs Land gefahren seien. »Ich hoffe, wir kriegen das noch in den Griff, denn für die Athleten ist die Stimmung das Wichtigste«, sagte Bubka. IAAF-Präsident Lamine Diack hatte die Organisatoren bereits im April dafür kritisiert, zu wenig Werbung für den Saisonhöhepunkt der Leichtathleten gemacht zu haben.

Nach SID-Informationen sind nur knapp die Hälfte der Tickets in den freien Verkauf gegangen, der Rest ging an Sponsoren, die ihre Karten bereits für frühere Leichtathletikmeetings nicht losgeworden waren - nun auch nicht für die Qualifikationen an den WM-Vormittagen. Laut »BBC «seien eine Woche vor dem WM-Start 240 000 Karten sogar verschenkt worden, um die Tribünen zu füllen. Offenbar hat nicht mal das funktioniert.