nd-aktuell.de / 09.09.2013 / Sport / Seite 20

Tokio 2020: Jubeln, Feiern, Strahlen

Das IOC vergibt die Sommerspiele 2020 nach Japan - trotz des unkontrollierbaren Havariemeilers Fukushima

Felix Lill, Tokio
Die Olympischen Spiele 2020 finden in Tokio statt. Dem Bewerbungsteam aus der japanischen Hauptstadt gelang es, gegenüber dem IOC die eigenen Stärken über die Gefahren um Fukushima zu stellen. Istanbul und Madrid gingen leer aus.

Im frühen Morgengrauen klangen Jubelschreie durch die japanische Hauptstadt: »Banzai!« ertönte es am Sonntag kurz nach fünf Uhr nahe dem Komazawa Stadion von Tokio aus allen Richtungen. Der in Japan typische Jubelruf folgte den Fernsehbildern von Jacques Rogge, dem scheidenden Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), der den siegbedeutenden Zettel in die Kamera gehalten hatte: Tokyo »2020«. Im zweiten Wahlgang hatte sich die japanische Bewerbung mit 60 zu 36 Stimmen gegen Istanbul durchgesetzt, nachdem zuvor Madrid in einer Stichwahl gegen Istanbul ausschied.

Rund um das Tokioter Stadion, wo 1964 die olympischen Fußballspiele ausgetragen wurden, mischten sich Erleichterung und Überraschung zu einem freudigen Jubeltaumel. »Ich hatte eigentlich nicht mehr dran geglaubt«, sagte die 25-jährige Maki Murakami. »Nach all dem, was in den letzten Wochen passiert ist, bin ich wirklich überrascht.« Der 22-jährige Student Yuki Yamada sagte: »Ich freue mich unglaublich, dass wir es geschafft haben, obwohl die Regierung so viel Unfähigkeit offenbart hat. Aber jetzt kann sich Japan der Welt von seiner besten Seite zeigen. Ich bin sicher, dass die Spiele eine gute Chance sind, unser Image zu verbessern.«

Die Freude von Yamada und Murakami entspricht der Stimmung im Land: Vergangene Woche erst hatte eine Umfrage ergeben, dass 92 Prozent sich die Olympischen Spiele 2020 in Tokio wünschen - die Zustimmung hatte in der Bewerbung stets eine entscheidende Rolle gespielt.

Zum zweiten Mal nach 1964 darf Tokio nun die Spiele veranstalten. Das Bewerbungskomitee hatte dem IOC das Sieben-Milliarden-Dollar-Olympia der Wirtschaftsmacht als verheißungsvolle Option in Zeiten globaler Unsicherheit präsentiert. Lange Zeit waren die Japaner mit dieser Strategie schon im Vorfeld gut gefahren. Das Krisenland Spanien mit seiner radikalen Sparpolitik hingegen ließ die IOC-Granden zweifeln, ob Madrid 2020 Olympische Spiele stemmen kann. Istanbul hatte seine vorhandenen Sympathiepunkte beim IOC wohl schon vor der Abstimmung verspielt, ob wegen der Proteste im Gezi-Park oder des brutalen Vorgehens der Polziei dagegen, war nicht auszumachen. Hinzu kamen die jüngsten Häufungen von Dopingskandalen im Lande.

Angesichts dessen erschien Tokio den IOC-Mitglieder offenbar als die beste Wahl: Spiele, deren Finanzierung durch die Bürgschaft der Stadt mit der weltweit größten Wirtschaftskraft gesichert ist und bei denen noch dazu ein Großteil der Infrastruktur bereits vorhanden ist - auch wenn sich Mitte Juli herausgestellt hatte, dass das seit März 2011 andauernde Nukleardesaster keineswegs so unter Kontrolle ist, wie es die Regierung und die Kraftwerksbetreibergesellschaft Tepco behaupten. 300 Tonnen radioaktiv versuchtes Wasser laufen täglich aus den drei havarierten Atomreaktoren. Fukushima liegt nur gut 200 Kilometer nordöstlich von Tokio.

»Die Strahlung in Tokio ist nicht höher als in London, Paris, New York oder anderen Weltstädten«, beteuerte Tsunekazu Takeda, Chef des Bewerbungskomitees und Vorsitzender des japanischen olympischen Komitees, in Buenos Aires immer wieder. »In Tokio ist das Leben völlig normal«, hatte er auch in einem Brief ans IOC versichert. Japans Premierminister Shinzo Abe bekräftigte Takedas Äußerungen und versprach bei der abschließenden Präsentation in Buenos Aires, persönlich dafür zu bürgen, dass die Spiele in Tokio sicher würden.

Der Plan der Tokioter ging aber auch deshalb auf, weil die Bewerbung eine runde Sache war. Gut 80 Prozent der Wettkämpfe werden in einem Acht-Kilometer-Radius um die Innenstadt ausgetragen. Lange Wege, wie sie teilweise bei den Spielen von London 2012 beklagt wurden, können weitgehend vermieden werden. Das dichte und pünktliche öffentliche Verkehrssystem Tokios wird dabei behilflich sein. Ebenso kann die japanische Hauptstadt auf große Sponsoren hoffen. Toyota, der weltweit größte Autobauer, hat angekündigt, sich an den Spielen beteiligen zu wollen. Japans Zentralregierung will zudem Kosten für Sicherheit, Ambulanz und die Abwicklung der Einreise der zahlreichen Besucher übernehmen.

Bei den Tokiotern, die am Sonntag am Komazawa-Stadion feierten, ist die Vorfreude auf 2020 enorm. »Die Spiele 1964 müssen ein riesiges Fest gewesen sein«, strahlte Maki Murakami am Sonntag. »Hoffentlich wird es 2020 genauso.« Vor knapp 50 Jahren zeigte sich das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Japan als aufstrebende Industrienation. Diesmal soll Olympia als Symbol für die Erholung nach dem Tsunami, Erdbeben und der folgenden Reaktorkatastrophe werden.