nd-aktuell.de / 14.09.2013 / Politik / Seite 5

Wie Pflegebedürftigen geholfen werden soll

Teil IX der nd-Serie zur Bundestagswahl

Silvia Ottow
Welche Antworten die Bundestagsparteien auf umstrittenen politischen Themenfeldern geben, untersucht in ausgewählten Bereichen die nd-Serie »Systemvergleich«. Heute: Pflege. Einige Parteien scheinen sich in den Programmen der jeweils linken Nachbarn zu bedienen.

Kaum ein Problemb dieser Gesellschaft wird so gnadenlos unter den Tisch gekehrt wie die Pflege. Das gilt auch für diesen Wahlkampf, in dem sie wie in den Wahljahren zuvor kein Thema war. Pflege gilt als kleines Anhängsel der Gesundheitspolitik und soll reformiert werden seit 1995 die Pflegeversicherung eingeführt wurde. Sie sichert für einen monatlichen Beitrag von je 1,025 Prozent für Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie zusätzliche 0,25 Prozent für Kinderlose einen Teil der Pflegekosten im Alters- oder Krankheitsfall ab. Aber es ist eben immer nur ein Teil und die privaten Belastungen sind hoch - für Menschen mit geringen Einkommen kaum zu schultern. Zweieinhalb Millionen Bürger beziehen derzeit Leistungen aus dieser Versicherung, knapp 70 Prozent davon - das sind 1,6 Millionen Menschen - werden ambulant versorgt, der andere Teil lebt in Pflegeeinrichtungen. 20,9 Milliarden Mark gaben die Pflegekassen 2011 aus, aber im Schnitt kamen von jedem Pflegebedürftigen im Laufe seines Lebens 31 000 Euro dazu.

Interessant wird das Thema, wenn ein neuer »Pflegeskandal« die Runde macht und vernachlässigte, hilflose Heimbewohner die Titelseiten der Boulevardmedien erobern. Dabei gäbe es auch ohne diese bedauernswerten Vorkommnisse Anlass genug, sich damit auseinanderzusetzen. Immerhin gehen Experten davon aus, dass 2030 eine Million mehr Menschen auf die Pflegeversicherung zurückgreifen wird, die Zahl der Demenzkranken wird sich in den nächsten vier Jahrzehnten verdoppeln. Die Fokussierung auf Pflegeheime, mit denen große Unternehmen gute Gewinne machen wollten, trug viele Jahre dazu bei, aus der Pflege ein Geschäft zu machen. Billige, gering qualifizierte Arbeitskräfte und die Pflege im Minutentakt wurden zum Synonym für die Altenpflege. Menschenunwürdig. Von jedermann gefürchtet.

Inzwischen hat sich auch in der Politik herumgesprochen, dass in die Pflege auch die vielen Altersverwirrten mit einbezogen werden müssen und wohnortnahe Betreuung oder die Einrichtung von Wohngruppen sowohl angenehmer für die Betroffenen als auch kostengünstiger für die Gesellschaft sind. Große Worte fielen - etwa als der 2009 amtierende Bundesgesundheitsminister von den Liberalen, Philipp Rösler das Jahr der Pflege ausrief und die Umsetzung seinem Nachfolger Daniel Bahr von der gleichen Partei überließ. Der hatte wohl Angst, sich an dem heißen Thema die Finger zu verbrennen. Er versuchte Zeit zu gewinnen, indem er einen Fachbeirat, der den Pflegebegriff schon im Auftrag der schwarz-roten Koalition neu und durchaus sinnvoll bestimmt hatte, noch einmal mit der gleichen Aufgabe losschickte.

Als es sich gar nicht mehr vermeiden ließ, verabschiedete er ein Pflegeneuausrichtungsgesetz, das an der Größe der Aufgabe scheitert. Es hilft Demenzkranken und ihren Angehörigen mit einer bescheidenen Summe und verspricht Versicherten, die eine private Zusatzvorsorge abschließen, die lächerliche Summe von fünf Euro im Monat. Profitieren können davon nur Versicherungsunternehmen.

In den Programmen der Regierungsparteien sieht man sich bei der eingeschlagenen weiteren Privatisierung des Pflegerisikos auf dem richtigen Weg, es gibt keinerlei Hinweise darauf, die Pflege wirklich zu reformieren. Das müsste alle Menschen hellhörig machen, die zu wenig verdienen, um privat vorsorgen zu können - darunter auch die in der Pflege Beschäftigten. Für sie werden sich die Bedingungen kaum verbessern, denn die allgemeinen Formulierungen bei der FDP und der CDU lassen darauf schließen, dass es wieder einmal nur um Worte geht. Kaum ein Vorhaben lässt sich fassen, schon gar nicht abrechnen. Eine Reform des Pflegesystems wird ohne Druck wohl nie in Angriff genommen, wenn diese Regierung im Amt bleibt. Kritisiert wird sie für ihre Versäumnisse sowohl von der Wissenschaft als auch von den Gewerkschaften und sämtlichen Sozialverbänden.

Etwas anders sehen die Pläne bei LINKEN, Grünen und Sozialdemokraten aus. Sie alle wollen die Pflege in eine Bürgerversicherung integrieren und bis auf die SPD auch alle Bürger und alle Einkommen mit einbeziehen. Gesetzt wird auf alternative Betreuung und wohnortnahe Versorgung. Pflegekräfte sollen besser ausgebildet und bezahlt werden. Obwohl Pflegeforscher wie der Kölner Frank Weidner auch hier noch ein schlüssiges Gesamtkonzept vermissen, könnten sich die drei Konzepte vielleicht noch am sinnvollsten zusammenstricken lassen.

»Markt und Wettbewerb«, findet Pflegeexpertin Kathrin Senger-Schäfer von der LINKEN-Fraktion im Bundestag, »tragen nicht dazu bei, dass sich gute Pflegequalität durchsetzt.« Das führe nur dazu, Gewinnmaximierung und Rendite über das Menschen- und Gemeinwohl zu setzen und öffne schwarzen Schafen Tür und Tor. Pflege müsse als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge begriffen werden.

Nach Angaben von FrankWeidner geben Länder wie Schweden, Dänemark oder die Niederlande fast das Dreifache für Pflege aus als Deutschland. Dort gelte dieser Lebensbereich auch als Wirtschaftsfaktor. Die Beschäftigten würden besser bezahlt und die Bedürftigen besser gepflegt. Im Grunde profitierten so alle. Doch um so einen Zustand zu erreichen, muss erst einmal Geld ausgegeben werden. Das könnte erklären, warum Pflegepolitik im Wahlkampf keine Rolle spielt.