nd-aktuell.de / 13.12.2013 / Politik / Seite 16

Handel schließt fast überall gut ab

Monatelange Streiks und Verhandlungen sind in mehreren Bundesländern zu Ende / Im Osten wird noch gekämpft

Hans-Gerd Öfinger
Der Manteltarifvertrag ist wieder in Kraft, Regalauffüller mit Werkverträgen kommen unter das Dach des Tarifvertrages. Doch bei der Lohnangleichung Ost sperren sich die Arbeitgeber noch.

Der vor einer Woche von der zuständigen ver.di-Tarifkommission in Stuttgart angenommene Tarifabschluss für die Beschäftigten im baden-württembergischen Einzelhandel hat inzwischen auch anderswo Nachahmung gefunden. So ist die monatelange zähe Tarifbewegung, an der sich seit Frühjahr bundesweit über 100 000 Beschäftigte beteiligt hatten, nun auch in Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hamburg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland offiziell beendet.

Hier wurden gleich nach dem Stuttgarter »Pilotabschluss« vielfach bereits geplante und organisierte Streiks wieder abgeblasen, nachdem sich ein rascher Vertragsabschluss mit dem regionalen Handelsverband abgezeichnet hatte. Dass dabei neben den vereinbarten Einkommenserhöhungen auch der vom Handelsverband Anfang 2013 gekündigte Manteltarifvertrag (MTV) wieder in Kraft gesetzt wurde, kann ver.di als Erfolg und Preis einer beharrlich geführten Streikbewegung verbuchen. Die beabsichtigten massiven Lohnsenkungen sind damit zunächst vom Tisch.

Doch angesichts der Regionalisierung der Tariflandschaft in dieser Branche ist damit im Rest der Republik noch längst kein vorweihnachtlicher Frieden in Supermärkten, Kaufhäusern, Bau- und Möbelmärkten eingekehrt und ein Abschluss auch keine reine Formsache. Dies zeigt etwa der erneute Aufruf des ver.di-Landesbezirks Berlin-Brandenburg zu einer weiteren Streikrunde am gestrigen Donnerstag, diesmal mit Schwerpunkt bei großen Lebensmittelketten. Mehrere hundert Streikende versammelten sich in einem Einkaufszentrum in Oranienburg. In diesem Tarifbezirk haben sich nach ver.di-Angaben die in der Unternehmerorganisation Handelsverband zusammengeschlossenen Unternehmen für Berlin noch immer nicht zu einer Anpassung der Urlaubs- und Weihnachtsgelder Ost an das Westberliner Niveau durchgerungen und diesen längst überfälligen Schritt für das Tarifgebiet Brandenburg sogar faktisch ausgeschlossen.

Auch für Mecklenburg-Vorpommern ist ein Abschluss noch nicht in Sicht. Hier nimmt das Unternehmerlager offenbar Anstoß an einer anderswo bereits beschlossenen Bestimmung. Demnach können die vielfach in Werkvertragsunternehmen ausgegliederten Regalauffüller wieder in den Geltungsbereich der Branchentarife und die Stammbelegschaften zurückgeführt werden. Dafür war ver.di zu einem Kompromiss bereit, der für neu eingestellte Beschäftigte in der Warenverräumung mit reiner Auffülltätigkeit eine neue untere Lohngruppe mit einem Stundenlohn von zunächst 9,54 Euro bzw. 9,74 Euro ab April 2014 vorsieht. Ein weiteres Zugeständnis von ver.di liegt auch in der teilweisen Senkung der Nachtzuschläge für die Warenverräumung. Für betroffene Werkvertragsbeschäftigte, die bisher vielfach mit Stundenlöhnen von 6,63 Euro abgespeist werden, wäre dies indes nicht nur finanziell ein Fortschritt. Sie kämen dadurch in den Genuss der im Manteltarifvertrag festgeschriebenen Leistungen und Rechte.

Inwieweit die Handelskonzerne diese Möglichkeit zu Gunsten der Regalauffüller jedoch überhaupt nutzen oder einzelne von ihnen gar eine Tarifflucht anstreben, wird sich zeigen. »Wir werden sehr genau prüfen, ob die hessischen Arbeitgeber die Auffüller tatsächlich wieder in die Geltung der Tarifverträge zurückführen«, sagt der zuständige hessische ver.di-Fachbereichsleiter Bernhard Schiederig. So sind angesichts der Begehrlichkeiten im Unternehmerlage weiter Skepsis und Wachsamkeit weiter geboten. Zwar gilt für alle jetzigen Beschäftigten ein Bestandsschutz gegen eine mögliche Absenkung ihres Einkommens auf die neue untere Lohngruppe. Doch die Einhaltung solcher Bestimmungen im betrieblichen Alltag hängt nicht zuletzt von engagierten Betriebsratsgremien ab. Und die gibt es nicht in allen Filialen. Spätestens 2015, wenn der jetzt wieder eingesetzte MTV ausläuft, sind neue große Konflikte programmiert. Nach dem Streik ist vor dem Streik.