nd-aktuell.de / 07.02.2015 / Kultur / Seite 26

Pillen und Theater

Von Viola Berkling , Oschersleben, und Reinhard Renneberg , Hongkong

Viola BerklingReinhard Renneberg

2005 schrieb RR an den Biochemiker Carl Djerassi einen ziemlich frechen Brief. Er fragte an, ob Djerassi bereit wäre, anlässlich des 50. Jahrestages des ersten oralen Verhütungsmittels, der Wunschkindpille, die die demografische Entwicklung auf unserem Planeten so maßgeblich beeinflusste, einen populärwissenschaftlichen Aufsatz für sein zukünftiges Buch zu schreiben. Seit nunmehr zehn Jahren hat der große Organiker einen festen Platz als Experte im Lehrbuch »Biotechnologie für Einsteiger«. Noch bis fünf Tage vor Carls Tod bestand ein reger Austausch zwischen uns Dreien.

Carl wollte nicht auf seinen Beitrag zur »Pille« reduziert werden. Immerhin verdanken wir ihm auch die Synthese von Cortison aus pflanzlichen Ausgangsstoffen, die Einführung von Analysemethoden zur Unterscheidung links- und rechtsdrehender Moleküle in die organische Chemie.

Carl Djerassi war bis kurz vor seinem Tod in San Francisco ein »intellektueller Schmuggler« und ein Workaholic, der mit seinen Gastvorlesungen die bedeutendsten Hörsäle füllte; zuletzt im November und Dezember 2014 in Magdeburg und München.

Doch der emeritierte Professor für Chemie an der Stanford University war auch Romancier, Dramatiker und ein ambitionierter Kunstsammler präkolumbianischer und moderner Kunst. In Stanford waren in den letzten Jahren seine Sophomore-Literaturseminare, die er bis März 2014 für ein Dutzend handverlesener Studenten abhielt, äußerst begehrt. Für seine überragende Forschungstätigkeit wurde er mit hochrangigen Auszeichnungen und 34 Ehrendoktoraten geehrt. Seine Wohnungen in Wien, London und San Francisco schmückten diese jedoch nicht, sondern seine geliebten Theater- und Buchposter.

Zu Carl Djerassis literarischem Nachlass zählen Kurzgeschichten, ein deutsch-englischer Gedichtband, fünf Romane, mehrere autobiographische Bände und das Buch »Vier Juden auf dem Parnass« - ein Gespräch, das sich mit Adorno, Benjamin, Scholem und Schönberg beschäftigt.

Seit 1997 widmete sich Djerassi vorrangig Bühnenwerken. Mit den Stücken »Unbefleckt«, »Oxygen«, »Kalkül«, »Phallstricke« und »Killerblumen« hat er das Genre Wissenschaft im Theater maßgeblich geprägt.

Carl Djerassi ist Gründer des Djerassi Resident Artist Program, einer Stiftung, die Stipendiaten aus bildender und darstellender Kunst, Literatur und Musik unweit von Woodside (Kalifornien)Wohn- und Arbeitsräume zur Verfügung stellt. Seit ihrer Gründung 1982 hat die Stiftung über 2300 Künstler beherbergt.