nd-aktuell.de / 14.02.2015 / Kommentare / Seite 2

Dialektik der Pappnase

Velten Schäfer über neuartige Taktiken des Klassenkampfs

Velten Schäfer

Ein gelinde überstrapaziertes Zitat besagt, in Deutschland könne die Revolution nicht stattfinden, weil sich Revolutionäre Bahnsteigkarten kauften, bevor sie einen Zug stürmten. Auch die Grünanlagen vor Regierungsgebäuden wurden als entscheidende Bastionen der Bourgeoisie erkannt, da deutsche Aufrührer nie unbefugt einen Rasen beträten.

Dass die IG Metall nun ihre machtvolle Streikbewegung aussetzt, weil Teile der Republik von Fasching und Karneval befallen sind, weist indes nur oberflächlich in diese Richtung. Tatsächlich handelt es sich um eine dialektische Umsetzung der These von der relativen Verelendung.

Ist nämlich der Werktätige unter einem Regime, das nicht einmal den Rosenmontag freigibt, gezwungen, sein Grundbedürfnis nach Pappnasen mit dem Kapitalgesetz übereinzubringen, begreift noch der Letzte, wozu ein Betriebsrat taugt: Als Fragen der »Ordnung im Betrieb« sind das Schunkeln, Bonbonwürfe sowie Clownsriechorgane am Arbeitsplatz nämlich, wie Gewerkschafter nun listig erklären, »mitbestimmungspflichtig« - und ohne Arbeitnehmervertretung »eigenmächtig« vom Kapital zu regeln!

Unzweifelhaft wird der Metallorganisationsgrad demnächst die angepeilte 250-Prozent-Marke übertreffen. Und dann wird der allgemeine Frohsinn nicht nur Grundrecht, sondern sogar Bürgerpflicht.