nd-aktuell.de / 24.06.2015 / Kultur / Seite 14

Grazie und Galle

Helmuth Lohner ist tot

hds

Er war Schnarren und Schmarren, er gab den Schmäh mit Schmelz - und wenn seine Kunst Galle soff, tat sie es gleichsam cocktailvergnügt mit Strohhalm. Helmuth Lohner, der Wiener, wienerte die Schmutzböden menschlicher Existenz mit den Rockschößen seiner k.u.k.-Grazie bühnenbodenblank - aber in diesem galanten Schlurfi loderte doch auch ein erhellender Funke für die Verdorbenheit. Seine Gestalten hatten etwas Aristokratisches, Gerecktes, freilich lässig über die Schulter geworfen: ein Säckchen, gut gefüllt mit dem Zucker, den er dem Affen gern gab. Ein Komödiant im schwelgenden, frechen Bewusstsein seiner Schaustellung.

Er spielte in Fritz Kortners legendärer Münchner Inszenierung »Kabale und Liebe« den Ferdinand, neben Christiane Hörbiger als Luise - Hans-Jürgen Syberberg hat eine Probe zur Aufführung in einen beinahe ebenso legendären Film verwandelt; Lohner wie ein schlenziger Gérard Philipe; scheu sich öffnende Jungenhaftigkeit und zugleich - gegen den Vater, den Präsidenten - eine tobsuchtstolle Rebellenkraft. Manfred Wekwerths »Richard III.« in Zürich hatte mit Lohner eine so windige wie windungsfähige Titelgestalt, der böse bucklige Mörder immer dicht an aufrecht guten Manieren vorbeischrammend, und bei Wekwerths »Prinz von Homburg« an der Wiener Burg gab Lohner die Hauptrolle zwischen eleganter Entrücktheit und schmallippig forschem Widerspruchsgeist.

Berühmt sein Trotta und sein Tarabas in den Joseph-Roth-Verfilmungen »Radetzkymarsch« und »Flucht ohne Ende«. Porträts einer kostbaren Gebrochenheit. Zu Hause war der Schauspieler - auch in Berlin, Hamburg, München engagiert - am Wiener Josefstadt-Theater, er war dort lange Direktor, sperrte sich finanziellen Pressionen und feierte Heimat in Stücken Horváths, Schnitzlers, Nestroys. Stets klar erkennbar in der Aura, aber im leuchtenden Spiel nach störenden Fehlfarben suchend. Am Wehmutstropf hing er wie an einem Turnseil, im Tragiker schlug das Gauklerherz, als Nörgler war er zu nüchtern, als Plebejer zu vornehm, als Hagestolz zu bodenständig. Die Wehleidigkeit posierte mit Platzpatronen, das Denken aber schoss scharf. Nun ist der 1933 geborene Schlossersohn im Alter von 82 Jahren in Wien gestorben. hds