Zypern: Dauerstreit am Rand des Mittelmeers

Die linke Partei Akel will als Kraft der Wiedervereinigung, des Friedens und mit sozialen Themen auf der geteilten Insel Zypern punkten

  • John Malamatinas
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Akel-Chef Stefanos Stefanou ist ein gefragter Redner bei Demonstrationen gegen die konservative Regierung. Bei den Europa-Wahlen liegt die Akel bei Umfragen gut im Rennen.
Der Akel-Chef Stefanos Stefanou ist ein gefragter Redner bei Demonstrationen gegen die konservative Regierung. Bei den Europa-Wahlen liegt die Akel bei Umfragen gut im Rennen.

Am vergangenen Mittwoch haben in Zypern die Parteien ihre Kandidaturen für die Europawahlen 2024 eingereicht: Insgesamt 63 Kandidaten – 45 Männer und 18 Frauen – werden um einen von sechs Sitzen im Europäischen Parlament kämpfen, 61 auf Listen und zwei als Unabhängige. Auch drei türkischstämmige Kandidaten treten an. Wahlen finden nur im griechischen Teil der Insel statt, aber es sind immerhin 82 925 türkische Zyprer registriert.

In Zypern jährt sich die EU-Mitgliedschaft zum 20. Mal. Es war Teil der großen Erweiterung von 2004. Schon seit 1974 ist Zypern geteilt – in einen griechischsprachigen Teil, der der EU beigetreten ist, und einen türkischsprachigen Teil, der als eigenständiger Staat nur von der Türkei anerkannt wird. Die Teilung erfolgte, nachdem die Nationalgarde mithilfe der griechischen Militärjunta mit einem Putsch Präsident Makarios gestürzt hatte. Das türkische Militär, das sich als Schutzmacht der türkischen Inselbewohner versteht, besetzte den Norden der Insel. Der Konflikt schwelt weiter – und ist ein Dauerbrenner bei Wahlen.

Europawahl 2024

Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl

Die ersten Umfragen nach der Präsentation der Kandidaten deuten auf einen Sieg der konservativen Partei Disy (Demokratische Sammlung) mit 18 Prozent hin, dicht gefolgt von der Linkspartei Akel, der 16 Prozent vorhergesagt werden. Die extrem rechte Partei Elam (Nationale Volksfront) legt auf 10 Prozent zu, die Zentrumspartei Diko liegt acht Prozent, die sozialdemokratische Edek nur bei vier. Für Volt wollen zwei Prozent stimmen und für Ökologen ein Prozent. 2019 errangen Wahlsieger Disy und Akel jeweils zwei Sitze, Diko und Edek jeweils einen. Dieses Mal ist ein Mandat für die extreme Rechte sehr wahrscheinlich.

Eines der polarisierenden Themen ist die Asylpolitik – nicht zuletzt, weil Zypern Mitte April angekündigt hat, die Bearbeitung von Asylanträgen syrischer Bürger auszusetzen. Aufgrund der zunehmenden Spannungen im Nahen Osten sind seit Anfang April mehr als 1000 Menschen mit Booten aus dem Libanon in Zypern angekommen. Aus diesem Grund hat die zyprische Regierung des Konservativen Nikos Christodoulides an ihre Partner in der EU appelliert, mehr für den Libanon zu tun und den Status von Syrien zu überdenken, das derzeit nicht als »sicheres Herkunftsland« gilt. Eine Rückführung syrischer Asylbewerber ist daher nicht möglich. Wie anderswo in Europa ist die Insel nicht immun gegen Fremdenfeindlichkeit. Rechtsextreme Gruppen schüren solche Stimmungen und die Gewalt. Eine Folge waren die Pogrome gegen Migranten im Spätsommer 2023 im Dorf Chlorakas in der Nähe des Ferienorts Paphos.

Politik der Annäherung

Die Linkspartei Akel geht mit drei Männern und drei Frauen auf dem Wahlzettel ins Rennen und »vereint Persönlichkeiten aus progressiven Spektrum Zyperns mit Wissen und Erfahrung«. Gleichzeitig knüpft sie mit der Aufnahme eines türkischen Zyprers in die Kandidatenliste an den historischen Schritt von 2019 an. Dieser Kandidat wird erneut Niyazi Kızılyürek sein, der als erster türkischer Zyprer mit 25 051 Stimmen zum Europaabgeordneten gewählt wurde. Akel beschreibt sich selbst als »die Partei aller Zyprioten, die Kraft der Wiedervereinigung und der Annäherung schlechthin«.

Die Partei fordert in ihrem Wahlkampf menschenwürdige Löhne und Renten, feste Arbeitsplätze, die Ausweitung von Tarifverträgen, öffentliche Investitionen, angemessenen Wohnraum für alle, bezahlbaren Strom für jeden Haushalt. Auf einer Wahlkampfveranstaltung Ende März erklärte Generalsekretär Stefanos Stefanou, woher das Geld dafür kommen soll: »Die Herrschenden hier in Zypern und in ganz Europa wissen, dass es Lösungen gibt.« Was fehle, sei der politische Wille, die Übergewinne der Banken und Energiekonzerne zu besteuern. Stefanou betonte auch, dass Akel ein Europa des Friedens wolle. Das bedeute, nicht das Feuer des Krieges in der Ukraine weiter zu schüren, wie es die EU tue, indem sie der Selenskyj-Regierung Waffen im Wert von zehn Milliarden Euro liefert.

Diese Position steht im Widerspruch zu der des restlichen Parteienspektrums.
Die Menschen auf Zypern spüren die geopolitischen Verwerfungen in der Welt. Die Gefahr einer Eskalation des Konflikts im Nahen Osten und der langwierige Krieg in der Ukraine beunruhigen die zyprische Öffentlichkeit. Viele auf der Insel stellen sich die Frage, wie bedroht die Sicherheit Europas und der Insel ist.

Vertrauen in EU

Nach einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage zu den Europawahlen zeigen die griechischen Zyprer ein gesteigertes Interesse daran, wählen zu gehen. Vier von fünf Wahlberechtigten wollen abstimmen. Etwa 67 Prozent sehen die Mitgliedschaft Zyperns in der EU positiv und 87 Prozent denken, dass die EU ihren Alltag positiv beeinflusst. Laut dem Journalisten Kyriakos Pierides haben die Bürger »weitaus mehr Vertrauen in die EU-Institutionen als in die Institutionen der Republik Zypern«. Ein Zypern außerhalb der EU halten sie für ein zu großes Risiko. Als wichtigste politische Themen wurden Gesundheit (50 Prozent) und Wirtschaft (43 Prozent) genannt. Das Problem der Migration hat für nur für jeden vierten Wähler Priorität.

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