Nun prüft Brüssel »die Liste« aus Athen

Schäuble stänkert weiter Richtung Athen / IWF-Chefin und EU-Ratspräsident fordern Umschuldung / Grüne fordern Sondersitzung des Bundestags /Spanien für offene Wahl des Eurogruppenchefs / Banken bleiben bis einschließlich Montag zu

  • Lesedauer: 15 Min.

Update 22.35 Uhr: Brüssel: Haben Liste aus Athen erhalten
Die Liste der griechischen Regierung ist in Brüssel eingegangen. Ein Sprecher von Jeroen Dijsselbloem erklärte am Donnerstagabend, die von den Gläubigern geforderte Liste mit Maßnahmen, die zur Voraussetzung für ein Kreditpaket für Griechenland im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM gemacht worden sind, sei bei dem Eurogruppenchef angekommen. Die Vorschläge müssen nun zunächst von Experten der EU-Kommission, Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgewertet werden. Am Samstag könnten die Euro-Finanzminister dann bei einem Treffen in Brüssel grünes Licht geben.

Update 21.50 Uhr: Athen hat »die Liste« abgeschickt
Die griechische Regierung hat die von ihr geforderte Liste mit Maßnahmen abgeschickt, von den Gläubigern zur Voraussetzung für Kreditpaket für Griechenland im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM gemacht worden sind. Das berichtet der griechische Fernsehensender ERT1 - die Vorschläge seien gegen 21.30 Uhr MESZ per E-mail an den Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem abgeschickt worden. Eine Bestätigung aus Brüssel gab es zunächst nicht. Auch Einzelheiten wurden vorerst nicht bekannt. Das griechische Parlament könnte Medienberichten zufolge bereits am Freitag über erste Maßnahmen der SYRIZA-geführten Regierung beraten. Die Abstimmung könnte am Freitag- oder am Samstagabend stattfinden, berichteten griechische Fernsehsender und Nachrichtenportale am Donnerstag übereinstimmend weiter.

Update 21.10 Uhr: Schäuble räumt Notwendigkeit von Umschuldung ein
Laut einem Bericht der konservativen Athener Zeitung »Kathimerini« hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eingeräumt, dass Griechenland eine Umschuldung brauche, um seine Wirtschaft wieder nachhaltig entwickeln zu können. Schäuble sagte demnach bei einer Konferenz in Frankfurt am Main, »Schuldentragfähigkeit gebe es nicht ohne einen Schuldenschnitt, und ich denke, es ist richtig, wenn der IWF das sagt«. Er fügte aber hinzu, dass ein Schuldenschnitt durch die Regeln der Europäischen Union verboten sei. Wöetlich sagte er laut der Zeitung:

»Debt sustainability is not feasible without a haircut and I think the IMF is correct in saying that.« But he added: »There cannot be a haircut because it would infringe the system of the European Union.«

Laut dem als »Bailout-Verbot« verstandenen Artikel 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union dürfen grundsätzlich weder die EU noch Mitgliedstaaten für Schulden eines anderen Mitgliedslandes haften. Schäuble habe für diesen Widerspruch keine Lösung angeboten, so das Blatt weiter. Es gebe nur geringen Spielraum für eine Umstrukturierung, etwa durch Änderung der Darlehenslaufzeiten und Zinssätze beziehungsweise für ein Moratorium für die Schuldendienstzahlungen.

Saarlands Linksfraktionschef Oskar Lafontaine, immerhin selbst einmal Bundesfinanzminister, meinte zu Schäubles »Bailout«-Verbotstheorie am Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk: »Die ganze Rettungspolitik der letzten Jahre verstößt gegen die europäischen Verträge. Das weiß man ja und insofern ist das ein Scheinargument.«

21.05 Uhr: Schäuble stänkert weiter
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich erneut oberlehrerhaft gegenüber der griechischen Regierung geäußert. »Setzt doch einfach mal die in oder andere Maßnahme um«, habe er dem neuen griechischen Finanzminister Efklidis Tsakalotos geraten, sagte Schäuble auf einer Tagung der Bundesbank am Donnerstag in Frankfurt am Main. »Just do it!«- das würde »wahnsinnig viel Vertrauen gewinnen«. Umgesetzt habe das griechische Parlament bislang nichts, kritisierte Schäuble. Er äußerte sich skeptisch, dass sich dies bis Sonntag ändern könnte. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte sich auf der Tagung gegen weitere Stützungsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) für Griechenland ausgesprochen. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) wolle nach Ansicht seines Chefvolkswirts Athen nicht entgegenkommen: Dem Antrag Griechenlands auf Aufschub von Kreditrückzahlungen könne man nicht stattgeben. Athen sei im Zahlungsverzug und dürfe daher unter den IWF-Statuten keine weitere Unterstützung bekommen, sagte Olivier Blanchard am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Washington. Der von der griechischen Regierung gewünschte Aufschub würde aber einer finanziellen Hilfe gleichkommen.

21 Uhr: Merkel schließt nur »klassischen Haircut« aus
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat einen Schuldenschnitt für Griechenland ausgeschlossen. »Ein klassischer Haircut« komme für sie nicht in Frage, »das hat sich zwischen vorgestern und heute auch nicht geändert«, sagte Merkel am Donnerstag bei einem Besuch in Sarajevo in Bosnien-Herzegowina vor Journalisten. Die Bundeskanzlerin verwies in Sarajevo darauf, dass die Gläubiger Griechenland bereits 2012 Laufzeitverlängerungen für den Schuldendienst gewährt und »Rückzahlungsnotwendigkeiten auf 2020 verschoben hätten«. Den Antrag der Regierung in Athen auf Hilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wollte Merkel noch nicht kommentieren, da dieser erst am Mittwoch eingegangen sei. »Ich bin bin zurzeit nicht in der Lage und kann das auch erst tun, wenn die drei Institutionen eine Bewertung vorgenommen haben, was das jetzt bedeutet und ob das Programm ausreichend ist für die Schuldentragfähigkeit der nächsten drei Jahre«, sagte Merkel.

Update 20.45 Uhr: Vorschlagsliste aus Athen um 21 Uhr
Bis Mitternacht soll die SYRIZA-geführte Regierung eine detaillierte Liste mit Maßnahmen vorlegen, dies ist von den Gläubigern zur Voraussetzung für Kreditpaket für Griechenland im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM gemacht worden. In Athen hieß es, die Liste solle gegen 21 Uhr nach Brüssel übersandt werden. Premier Alexis Tsipras wolle die Abgeordneten von SYRIZA am Freitagmorgen um 8 Uhr über den Vorschlag unterrichten. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici verlangte erneut umfassende und konkrete Vorschläge aus Athen. Zu vernehmen war auch, Athen müsse mehr leisten, als das - Ende Juni nicht angenommene - Kompromisspapier mit den EU-Institutionen zu unterschreiben. Nach griechischen Presseberichten will die Regierung Mehrbelastungen für die Tourismusbranche. So solle die Mehrwertsteuer im Bereich Hotellerie von 6,5 auf 13 Prozent und im Gastronomiebereich von 13 auf 23 Prozent steigen. Zudem sollten fast alle Frührenten abgeschafft werden. Außerdem solle grundsätzlich niemand vor dem 67. Lebensjahr in Rente gehen können. Das Maßnahmenpaket soll einen Wert von zehn bis zwölf Milliarden Euro jährlich haben.

Update 20.15 Uhr: Grüne fordern Sondersitzung des Bundestags
Die Grünen fordern eine Sondersitzung des Bundestags zur Griechenland-Krise in der nächsten Woche. Fraktionschef Anton Hofreiter sagte am Donnerstag, diese Forderung gelte unabhängig vom Ergebnis des EU-Sondergipfels am Sonntag. Dieser soll über die Aufnahme von Verhandlungen über ein Kreditpaket für Griechenland im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM entscheiden. Hofreiter sagte: »Wenn es am Sonntag noch eine Einigung gibt, dann brauchen wir eine Sondersitzung des Deutschen Bundestags, um die Verhandlungen im ESM zu beauftragen. Wenn es keine Einigung gibt, was der weitaus dramatischere Fall wäre, muss im Deutschen Bundestag über die Konsequenzen diskutiert werden.«

Update 19.40 Uhr: Spanien für offene Wahl des Eurogruppenchefs
Spanien hat nach Medienberichten eine offene Stimmabgabe bei der Wahl des Eurogruppenchefs gefordert. Das Votum jedes einzelnen Mitglieds müsse bei der Wahl am nächsten Montag bekanntgegeben werden, nur so könne Transparenz garantiert werden, wurde das Madrider Wirtschaftsministerium am Donnerstag von der staatlichen Nachrichtenagentur efe zitiert. Der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos (55) geht gegen Amtsinhaber Jeroen Dijsselbloem (49) aus den Niederlanden ins Rennen. Der Spanier wird von Deutschland unterstützt, Dijsselbloem gilt aber als Favorit. Insgesamt sind 19 Ressortchefs stimmberechtigt. Dijsselbloem führt die Euro-Finanzminister in Brüssel als Nachfolger des damaligen Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker seit knapp zweieinhalb Jahren. Am 21. Juli geht seine erste Amtszeit zu Ende. Die Abstimmung sollte ursprünglich am 18. Juni stattfinden, wurde aber aufgrund der Zuspitzung der Griechenland-Krise kurzfristig auf den 13. Juli verschoben. De Guindos gilt in der konservativen Regierung von Mariano Rajoy als Architekt der Bankensanierung in seinem Land. Er plädierte jüngst dafür, dass das Gremium sich künftig nicht nur auf Krisenmanagement konzentrieren, sondern eine stärker zukunftsorientierte Politik betreiben müsse.

Update 18.40 Uhr: Gerüchte über Athens neue Liste
Nach Informationen der Athener Finanzzeitung »Naftemboriki« will die griechische Regierung angeblich ein Maßnahmenpaket im Wert von zehn bis zwölf Milliarden Euro jährlich vorlegen. Es sehe auch eine Belastung der Tourismusbranche vor. So solle die Mehrwertsteuer im Bereich Hotellerie von 6,5 auf 13 Prozent und im Gastronomiebereich von 13 auf 23 Prozent steigen. Zudem sollten fast alle Frührenten abgeschafft werden.

Update 14.45 Uhr: Erwerbslosigkeit in Griechenland immer noch hoch
Die Arbeitslosigkeit in Griechenland ist im April zwar leicht zurückgegangen. Nach Angaben der griechischen Statistikbehörde Elstat vom Donnerstag lag die Arbeitslosenquote aber immer noch bei 25,6 Prozent, während sie im April 2014 noch 27 Prozent betragen hatte. Im Vergleich zum Vormonat blieb die Quote relativ stabil: Nach aktualisierten Zahlen lag sie im März bei 25,8 Prozent. Laut Elstat sind von 3,3 Millionen erwerbsfähigen Menschen 1,2 Millionen ohne Arbeit. Von den unter 25-Jährigen sind 53,2 Prozent arbeitslos - und damit etwas weniger als vor einem Jahr, als die Quote bei 55,4 Prozent lag. Gleichzeitig sind Frauen mit fast 30 Prozent stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer (22,2 Prozent). Die Erwerbslosenquote in Griechenland war zu Beginn der Krise im Jahr 2010 in die Höhe geschnellt und hatte im September 2013 mit 28 Prozent den höchsten Stand erreicht, bevor sie ab Ende 2013 langsam zurückging. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist eines der Hauptziele der seit Januar regierenden SYRIZA.

Update 14.10 Uhr: EU-Ratspräsident Tusk fordert von Gläubigern Zugeständnisse bei Schulden
Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk hält es für nötig, Griechenlands Schuldenproblem anzugehen. Von Athen verlangte Zusagen für Maßnahmen müssten von den Gläubigern mit »einem ebenso realistischen Vorschlag bei der Schuldentragfähigkeit« begleitet werden, sagte Tusk am Donnerstag in Luxemburg. Nur dann werde es ein Ergebnis geben, bei dem »alle Seiten Gewinner sind«. Zuvor hatte schon die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, eine Umschuldung für Griechenland gefordert. Neben Spar- und Reformmaßnahmen sei dieser Schritt »notwendig« für die Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit, sagte sie in Washington. Griechenland selbst hat immer wieder eine teilweisen Schuldenerlass verlangt, was aber unter anderem die Bundesregierung ablehnt.

Update 11.30 Uhr: Tsipras: Abstimmung über ESM-Paket ohne Fraktionszwang
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras will die Abgeordneten seines Linksbündnisses SYRIZA ohne Fraktionszwang nach ihrem Gewissen über ein mögliches neues Kreditprogramm abstimmen lassen. Die Deutsche Presse-Agentur berichtet unter Berufung auf griechische Regierungskreisen, es werde nach Wegen gesucht, gegebenenfalls auf anderen Wegen zu einer Mehrheit zu gelangen, ohne dass ein Bruch des Regierungslagers riskiert wird. Vertreter des linken SYRIZA-Flügels hatten angekündigt, in jeden Fall gegen ein neues Kreditprogramm zu votieren. Beobachter erwarten bis zu 30 Gegenstimmen. Da aber Abgeordnete der Opposition für ein ESM-Programm votieren dürften, wäre die Mehrheit praktisch gesichert. Das Datum für eine mögliche Abstimmung im griechischen Parlament steht noch nicht fest.

Update 10 Uhr: Bundesbank-Weidmann gegen Brückenfinanzierung: nicht durch EZB
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wehrt Überlegungen nach einer Brückenfinanzierung Griechenlands durch die Europäische Zentralbank ab. »Die Zweifel an der Solvenz der griechischen Banken sind legitim und nehmen jeden Tag zu«, sagte Weidmann am Donnerstag bei einer Tagung der Bundesbank in Frankfurt. »Es muss klar sein, dass die Verantwortung für die weiteren Entwicklungen in Griechenland und für jedwede Entscheidung zu finanziellen Transfers bei der griechischen Regierung und den Partnerländern liegt - und nicht beim EZB-Rat.« Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Notkredite für Griechenlands Banken bei knapp 90 Milliarden Euro eingefroren. Sollte bis zu einer endgültigen Einigung über ein neues Kreditprogramm eine Brückenfinanzierung notwendig sein, sei es Sache der Politik diese bereitzustellen, sagte Weidmann. Griechenland muss unter anderem am 20. Juli 3,5 Milliarden Euro Staatsanleihen tilgen, die die EZB hält. Außerdem schuldet das Land dem Internationalen Währungsfonds (IWF) noch gut 1,5 Milliarden Euro, die eigentlich am 30. Juni fällig gewesen wären. »In jedem Fall sollte das Eurosystem die Bereitstellung von Liquidität nicht ausweiten und die Kapitalverkehrskontrollen sollten so lange in Kraft bleiben bis ein angemessenes Hilfspaket von allen Partner vereinbart ist und die Solvenz sowohl des griechischen Staates als auch des griechischen Bankensystems gewährleistet ist«, so Weidmann.

Update 7.50 Uhr: SPD-Politiker Lauterbach: »stille humanitäre Krise«
SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach hat eine dringliche Hilfsaktion von Pharmafirmen und Krankenkassen für die Menschen in Griechenland gefordert. »Es ist sehr wichtig, dass man zunächst die Arzneimittelversorgung sicherstellt. Wir haben Hinweise darauf, dass die Medikamente selbst für Schwerstkranke in den Krankenhäusern knapp werden«, sagte er der »Berliner Zeitung«. Lauterbach sprach von einer »stillen humanitären Krise, die bislang weitgehend unbeachtet bleibt«. Allerdings hatten Ärzte-Organisationen schon länger auf die dramatische Lage hingewiesen. »Man bekommt den Eindruck, dass das griechische Gesundheitswesen insgesamt zunehmend nur noch die Basisversorgung abdecken kann«, so Lauterbach. Er werde versuchen, mit den Arzneimittelfirmen und dem Spitzenverband der Krankenkassen »eine konzertierte Aktion auf den Weg zu bringen. Dazu könnte auch gehören, dass preiswerte Arzneimittel zu den Einkaufspreisen, die in Deutschland gelten, auf den griechischen Markt kommen«.

Update 7.30 Uhr: 2200 deutsche Rentner in Griechenland
In Griechenland beziehen derzeit rund 2200 Deutsche eine Rente. Die jüngsten Rentenzahlungen wurden Ende Juni laut Bundessozialministerium ohne Probleme und pünktlich über die Bundesbank an die griechischen Banken angewiesen. Probleme bei der Auszahlung ließen sich bisher nicht verlässlich beurteilen. »Wir behalten das jedoch im Blick.« Insgesamt wurden Ende Juni demnach rund 92 000 Rentenzahlungen nach Griechenland geleistet. Überwiegend handele es sich um Zahlungen an Griechen, die in Deutschland einen Rentenanspruch erarbeitet haben und diesen auf ihr griechisches Konto überwiesen bekommen. »Klar ist, dass alle Menschen in Griechenland vor den gleichen Schwierigkeiten stehen, Bargeld zu bekommen.«

Update 7 Uhr: DIW-Chef Fratzscher
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat vor einem Scheitern der Verhandlungen im Streit um die Krisenpolitik und ein neues Kreditprogramm mit Griechenland und einem Euro-Ausstieg Athens gewarnt. »Der «Grexit» ist die absolut schlechteste Option für alle«, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Der würde Griechenland in eine fünf bis zehn Jahre dauernde Depression stürzen. Und die deutschen Steuerzahler würden deutlich mehr Geld abschreiben müssen.« Fratzscher geht davon aus, dass Griechenland über Jahre auf europäische Hilfe angewiesen sein wird. Für die nächsten zwei Jahre hält er ein drittes Kreditprogramm mit einem Volumen von 30 bis 40 Milliarden Euro für den griechischen Staat für nötig, außerdem einen zweistelligen Milliardenbetrag für die griechischen Banken.

IWF-Chefin fordert Umschuldung

Berlin. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hat eine Umschuldung für Griechenland gefordert. Neben anderen Maßnahmen sei dieser Schritt »notwendig« für die Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands, sagte Lagarde am Mittwoch bei einer Veranstaltung am Washingtoner Politikinstitut Brookings. »Griechenland befindet sich in einer akuten Krisensituation, die angegangen werden muss«, sagte Lagarde. Die IWF-Chefin erklärte, dass der Währungsfonds bei der Suche nach einer Lösung »voll engagiert« bleibe. Wegen des griechischen Zahlungsrückstands beim IWF darf die Organisation aber keine neuen Kredite an Athen überweisen. Griechenland werde in dieser Frage »keine Vorzugsbehandlung« bekommen, machte Lagarde deutlich.

Griechenland beruft sich auf eine Klausel in der Charta des Währungsfonds, die theoretisch die Verschiebung der Kreditrückzahlung um bis zu fünf Jahre erlaubt. Die offizielle Entscheidung des IWF-Exekutivrats über das griechische Ersuchen steht noch aus. Am 13. Juli muss Griechenland erneut 455 Millionen Euro an den Währungsfonds zurückzahlen. Eine weitere Rate von 284 Millionen Euro wird am 1. August fällig.

Griechenlands Banken bleiben weiter zu
Griechischer Premier warnt vor Spaltung Europas / EVP wirft SYRIZA »würdelose Politik« vor - Replik von der Linken: »Das ist arroganter Antikommunismus« / Tsipras: Haben ESM-Antrag abgeschickt - der Newsblog vom Mittwoch zum Nachlesen

In einem vergangene Woche veröffentlichten Bericht hatten die IWF-Experten geraten, den Zeitraum für die Rückzahlung der von den Euro-Partnern an Athen vergebenen Kredite zu verdoppeln. Nach Schätzungen des IWF hat Griechenland in den kommenden drei Jahren außerdem einen weiteren Finanzierungsbedarf in Höhe von mindestens 50 Milliarden Euro. Den Anteil der Euro-Partner bezifferte die in Washington ansässige Organisation auf mindestens 36 Milliarden Euro. Die IWF-Schätzung wurde allerdings vor der jüngsten Eskalation der griechischen Schuldenkrise erstellt, die Lage könnte also noch düsterer sein.

Griechenland war vergangene Woche als erstes Industrieland beim Währungsfonds in Zahlungsverzug geraten. Athen ließ die Frist für eine fällige Rate von 1,5 Milliarden Euro verstreichen. Zuvor hatten Griechenlands Euro-Partner ihr Kreditprogramm für Athen auslaufen lassen, nachdem Verhandlungen über eine Verlängerung geplatzt waren. Athen bemüht sich derzeit um ein neues Kreditprogramm - diesmal aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus -, am Sonntag findet dazu ein EU-Sondergipfel statt. Die griechische Bevölkerung hatte in einem Referendum die Auflagen der Gläubiger und die europäische Krisenpolitik abgelehnt.

Am Donnerstag soll Griechenland bis Mitternacht nach Meinung der Finanzminister der anderen Euro-Staaten eine detaillierte Liste mit Maßnahmen vorlegen, um im Gegenzug Gelder aus dem ESM zu erhalten. Den förmlichen Antrag auf neue Milliardenkredite hat die griechische Regierung inzwischen gestellt, der Ausgang des Prüfverfahrens ist aber völlig offen. Nur wenn die für Donnerstag erwartete Liste die Zustimmung der Eurogruppe findet, kann der EU-Sondergipfel am Sonntag weitere Hilfen bewilligen. Andernfalls, so wurde immer wieder gedroht, werde man den »Grexit« einleiten - obgleich es dazu gar kein offizielles Verfahren gibt.

Für den Fall, dass bis Sonntag keine Einigung zustande kommen sollte, droht die EZB damit, die bereits ausgereizten Ela-Nothilfen für griechische Banken sofort einzustellen. Damit würde den Banken Liquidität fehlen und ein Kollaps der Wirtschaft ist wahrscheinlich. Wie das Finanzministerium am späten Mittwochabend mitteilte, wurden die Bankenschließungen in dem Land bis einschließlich Montag verlängert. Auch die Kapitalverkehrskontrollen dauern entsprechend an. Diese waren Anfang voriger Woche in Kraft getreten. Pro Tag können die Griechen weiterhin höchstens 60 Euro von ihren Konten abheben, wie es in einem Bericht des Staatsradios hieß. Überweisungen ins Ausland sind nur mit Genehmigung der Zentralbank und des Finanzministeriums möglich. Agenturen/nd

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