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Spanien oder England: Neue Weltmeisterinnen gesucht
Im WM-Finale zwischen Spanien und Englands Europameisterinnen begegnen sich ein Trainer, der polarisiert, und eine Trainerin, die fasziniert
Jill Ellis hatte in dem Moment kein Auge für die fantastischen Ausblicke aus den Panoramafenstern in ihrem Rücken. Die frühere US-Nationaltrainerin stand vor einer Werbewand des Kongresscenters am Darling Harbour von Sydney, als sie sich zum anstehenden Finale der Weltmeisterschaft am Sonntag zwischen den Fußballerinnen aus Spanien und England äußerte: »USA, Deutschland, Japan: Alle Giganten sind raus. Aber es ist gut, wenn wir einen neuen Weltmeister sehen.« Grundsätzlich hat die Leiterin der Technischen Studiengruppe des Weltverbandes Fifa bei diesem Turnier eine »phänomenale Entwicklung« beobachtet. Das hörte sich durchaus so an: Eigentlich ist es fast schon egal, welches europäische Team im erneut mit mehr als 75 000 Menschen gefüllten Australia Stadium in Sydney gewinnt: Der Fußball der Frauen ist bereits der Gewinner.
Fest steht unwiderruflich, dass bei der neunten Auflage einer Fußball-WM der Frauen die zweite Nation nach Deutschland gekrönt wird, die sich mit ihren Männern und Frauen Weltmeister nennen darf. Einen Favoriten kann die Erfolgsgarantin Ellis, die mit ihrer charismatischen Art die Fußballerinnen der USA zu den WM-Triumphen 2015 und 2019 coachte, nicht erkennen: »Es sind zwei Teams mit großen Gegensätzen, aber beide wollen pressen, beide wollen den Ball.«
Die Stilfrage zweier unterschiedlicher Fußballkulturen ist tatsächlich vor dem Showdown recht knifflig. Die auf Kombinationen und Kurzpässen fußende spanische Philosophie, die auf das landestypische Tiki-Taka zurückgeht, trifft auf den auf Power und Physis ausgelegten englischen Ansatz, der ein bisschen vom früheren Trendsetter USA abgeleitet ist. Beide Teams definieren sich über das Kollektiv mit erfahrenen Führungsspielerinnen: Bei den Spanierinnen sind es Jennifer Hermoso, Irene Paredes oder Aitana Bonmatí, im englischen Team Millie Bright, Lucy Bronze oder Mary Earps, die als goldene Generation Geschichte schreiben wollen.
Die »Lionesses« bringen einen psychologischen Vorteil mit, weil sie im Viertelfinale der Europameisterschaft gegen »La Furia Roja« vor einem Jahr in Brighton and Hove in der Verlängerung – dank des wuchtigen Schusses der für den FC Bayern spielenden Georgia Stanway – gewannen. Sie wären zudem das erste Team nach Deutschland 2007, das nach einer EM gleich anschließend bei einer WM triumphiert.
Keiner der Finalisten hat bei der Endrunde die Sterne vom Himmel gespielt – umso wichtiger war der Input von der Trainerbank. So wie Spaniens »Architekt« Jorge Vilda aus dem 0:4 im letzten Gruppenspiel gegen Japan die richtigen Lehren zog, hat »Superhirn« Sarina Wiegman im mit 4:2 im Elfmeterschießen gewonnenen Achtelfinale gegen Nigeria wichtige Erkenntnisse gesammelt. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass der als Ellis-Erbe gescheiterte US-Nationaltrainer Vlatko Andonovski mit seinem Rücktritt sofort den Verdacht nährte, der US-Verband wolle die Niederländerin locken.
Rasch versuchte Englands Verband (FA), solche Spekulationen vor dem Finale einzufangen. Zum einen bekäme die bis 2025 gebundene 53-Jährige sicher nicht die Freigabe, hieß es, zum anderen habe man mit der Titelgarantin noch ganz andere Dinge vor. FA-Direktor Mark Bullingham schloss nicht aus, dass Sarina Wiegman auch den gleichen Job bei den Männern von Gareth Southgate übernehmen könnte. Die damit ausgelöste Debatte hat Emma Hayes, Teammanagerin des FC Chelsea, ziemlich verärgert: »Der Frauenfußball schreibt hier gerade seine eigene Geschichte – warum reden wir schon wieder über den Männerfußball?«, wetterte sie bei der Fifa-Tagung am Freitag. Da war schon ein Grummeln zu vernehmen.
Auch auf der spanischen Seite gibt es Geraune. Dass sich der Präsident des königlich-spanischen Fußballverbandes (RFEF), Luis Rubiales, auf die Schulter klopft, weil jetzt 100 000 Frauen und Mädchen in seinem Land kicken oder der Verband 15 000 Euro pro Spielerin für das Einfliegen der Familie spendiert, empfinden viele als blanken Hohn. Schließlich waren die teils unprofessionellen Bedingungen der Hauptgrund für die Rebellion von 15 Nationalspielerinnen. Und Trainer Vilda sei ja vor allem deshalb geblieben, heißt es, weil dessen Vater Angel einen RFEF-Posten innehatte. Insofern wenden Kritiker ein, dass die Krönung für den 43-Jährigen ein fatales Zeichen wäre. Entschieden wird das Endspiel aber nicht in überwölbenden Debatten.
Das englische Team setzt auf ein kompaktes 3-5-2-System, in dem immer wieder die Außenbahnen spielerisch überladen werden. Ob Lauren James nach Ablauf ihrer Rot-Sperre wieder aufläuft, wird auf der britischen Insel genauso heftig diskutiert wie auf der iberischen Halbinsel, ob Starspielerin Alexia Putellas bei Spanien in der 4-3-3-Formation den Vorzug vor WM-Shootingstar Salma Paralluelo bekommt. Sollte die 19-Jährige erneut als Einwechselspielerin den Unterschied machen, wäre sie unweigerlich eine Kandidatin für den »Goldenen Ball.« Denn eine einzelne Persönlichkeit, die wie Megan Rapinoe bei der WM 2019 sportlich und gesellschaftspolitisch alles überstrahlt, ist jetzt weit und breit nicht in Sicht. Daran wird auch ein von Expertin Ellis erwartetes »faszinierendes Finale« nichts mehr ändern.
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