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Meisterinnen der Effizienz: Englands Fußballerinnen im WM-Finale

Die australischen Gastgeberinnen scheiden trotz eines Traumtors mit 1:3 aus dem Titelrennen bei der Heim-WM aus

  • Frank Hellmann, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.
Englands Lauren Hemp (l.) nutzt Ellie Carpenters (M.) Fehler aus und trifft eiskalt zum vorentscheidenden 2:1.
Englands Lauren Hemp (l.) nutzt Ellie Carpenters (M.) Fehler aus und trifft eiskalt zum vorentscheidenden 2:1.

Es gab nicht wenige unter den 75 784 Augenzeugen im riesigen Australia Stadium, die bereits vor dem Schlusspfiff auf den Rängen hemmungslos weinten. Auch auf dem Rasen flossen kurz danach viele Tränen, als der Traum der »Matildas« vom WM-Finale wie eine Seifenblase zerplatzt war. Der tapfere Widerstand der australischen Fußballerinnen und ein Traumtor der vergötterten Starstürmerin Sam Kerr hatten nichts genützt: Mit einem 3:1-Erfolg gegen die Gastgeberinnen lösten stattdessen die Engländerinnen das Endspielticket.

Der Europameister hat sich als vorläufiger Weltmeister der Effizienz das Finale gegen Spanien (Sonntag, 12 Uhr/ZDF) verdient. Fest steht, dass der Titel bei der neunten WM-Auflage zum vierten Mal nach Europa geht. Nach Norwegen (1995) hatte sich nur noch Deutschland (2003 und 2007) in die Liste eingetragen. England oder Spanien bilden bald die neue Benchmark – ein Favorit ist in diesem Kampf zweier fast konträrer Fußballkulturen jedoch nicht auszumachen.

Englands Nationaltrainerin Sarina Wiegman verspürte nach dem emotionalen Halbfinale wenig Lust, schon nach vorne zu schauen: »Wir werden ein bisschen feiern, uns erholen – und dann haben wir noch genug Zeit.« Dass ihre Spielerinnen dieses Finale erreichten – bekanntlich schafften es die englischen Männer 1966 nur ein einziges Mal – sei »fast ein Märchen«, meinte Wiegman ergriffen. »Ich kann nicht beschreiben, wie stolz ich auf mein Team bin. Es fühlt sich an, als hätten wir schon ein Finale gewonnen, aber wir haben noch ein Spiel.«

Diese Partie ist für die Niederländerin bereits das vierte Endspiel binnen sechs Jahren. Nach den EM-Triumphen mit ihrem Heimatland (2017) und England (2022) wäre die WM-Trophäe der letzte Beleg, dass ihr gnadenlos aufs Ergebnis ausgerichteter Ansatz greift. »Wir haben zusammengehalten und am Plan festgehalten. Das hat wieder funktioniert«, konstatierte Wiegman zufrieden.

Gleichzeitig räumte die 53-Jährige ein, dass sich nach dem EM-Rausch des Sommers 2022 vieles für ihre Spielerinnen verändert habe: »Alle wollten was von ihnen, aber sie sind trotzdem noch dabei, besser zu werden. Ich habe eine sehr intelligente Mannschaft.« Fakt ist, dass England mit seinen Protagonistinnen seit dem Finale von Wembley tatsächlich einen Schritt nach vorne gemacht hat, während Deutschland mit seinen Fußballerinnen eher zwei zurückgegangen ist.

Das zeigte nicht zuletzt dieses Halbfinale, als die WM nach der englischen Führung durch Ella Toone (36.) ihren emotionalen Höhepunkt erlebte. Die so lange auf ihr Eingreifen wartende Sam Kerr schoss beim 1:1 ein Traumtor (63.). Die Massen bejubelten den perfekten Spannstoß der 29-Jährigen – abgegeben aus fast 25 Metern mit 95 Stundenkilometern – beinahe so ekstatisch wie 2000 den Olympiasieg von Leichtathletin Cathy Freeman an selber Stelle. Dann aber patzte Rechtsverteidigerin Ellie Carpenter, und ihr Abwehrfehler ermöglichte der Engländerin Lauren Hemp die schnelle Antwort (71.) und Vorentscheidung.

»Es ist ein Kindheitstraum: Jetzt wollen wir das Ding auch gewinnen«, sagte die quietschvergnügte Stürmerin Hemp. Ein bisschen Glück spielte auch mit, da Kerr mit Kopf und Fuß zwei Chancen zum möglichen Ausgleich vergab. Schlussendlich besorgte Englands Alessia Russo konsequent die Entscheidung (86.) zum 3:1-Endstand. Australiens Trainer Tony Gustavsson konnte gar nicht anders, als derlei Unterschiede anzusprechen: »Man muss diese Schlüsselmomente gewinnen – und das haben wir nicht getan.«

Gleichwohl versuchte sich der Schwede mit dem Spiel um den dritten Platz am Samstag gegen seine Landsleute zu trösten, obwohl dem 49-Jährigen natürlich die Finalteilnahme mit den so aufoperungsvoll kämpfenden Gastgeberinnen viel lieber gewesen wäre: »Ich bin stolz und traurig – wir hätten gerne die Leute noch stolzer gemacht.« Und dieses Gemeinschaftsgefühl war da: Dass selbst Geschäftsleute in den gelben Trikots der »Matildas« zwischen Opernhaus und Hyde Park die Mittagspause verbringen, ist sonst eher nicht Alltag in Sydney.

Wer in der Weltstadt am Wochenende nun die letzte Fußballparty feiern darf, ist gar nicht so leicht vorherzusagen. Der spanische Stil mit viel Ballbesitz und flüssigen Kombinationen trifft auf ein englisches Team, das sich über starke Physis und beste Ordnung definiert. Doch wenn jemand darauf reagieren kann, dann die sich wandlungsfähig wie ein Chamäleon im Outback präsentierende »Seleccion« aus Spanien. Eine Generation um Weltfußballerin Alexia Putellas möchte ihr spielerisches Talent in den ersten Titel überführen. Doch es wartet ein fürwahr weltmeisterlicher Brocken, an dem sich bei diesem Turnier bislang jeder Gegner die Zähne ausgebissen hat.

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