Schengen-Polizei fürchtet Verschlüsselung bei Messengern

Nach hochrangigem Treffen in London fordern Polizeichefs das Aushebeln sicherer Kommunikation

Wegen des Internets seien Häuser inzwischen »gefährlicher als unsere Straßen«, behauptet die Europol-Chefin Catherine De Bolle.
Wegen des Internets seien Häuser inzwischen »gefährlicher als unsere Straßen«, behauptet die Europol-Chefin Catherine De Bolle.

In einer am Sonntag von Europol veröffentlichten Erklärung warnen die Polizeichefs der Schengen-Staaten vor der Verbreitung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und fordern, Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Andernfalls seien »die öffentliche Sicherheit, insbesondere Kinder« in Gefahr. Industrie und Regierungen hätten eine »stolze Partnerschaft mit sich ergänzenden Maßnahmen« zu diesem Zweck, heißt es in dem Text. Diese Partnerschaft sei in Gefahr.

Anlass der Erklärung ist das Rollout der als E2E bezeichneten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung beim Messenger Meta, das der Facebook-Chef Mark Zuckerberg im Dezember angekündigt hatte. Die Kommunikation zwischen zwei oder mehr Geräten lässt sich auf diese Weise nicht mehr von Dritten abhören. Das gilt auch für Polizeien und Geheimdienste.

Meta ist mit der Einführung einer auch gegenüber Behörden sicheren Kommunikation allerdings Schlusslicht: Der ebenfalls zu Facebook gehörende Messenger Whatsapp hat dies längst umgesetzt, beim Konkurrent Telegram ist E2E seit Jahren optional nutzbar, bei Signal gehört die Funktion zur Gründungsphilosophie.

Auf EU-Ebene gibt es seit der Jahrtausendwende Streit zur E2E, die immer wiederkehrenden Debatten werden als »Cryptokriege« bezeichnet. Verschiedene Ratsvorsitze, darunter 2021 auch Deutschland, haben das Thema bereits zur Chefsache gemacht.

2022 hat die Kommission schließlich einen entsprechenden Verordnungsvorschlag veröffentlicht, der zwar nicht direkt auf den Bruch von E2E zielte. Stattdessen sollten die Anbieter von Betriebssystemen gezwungen werden, Fotos, Videos und die Kommunikation mithilfe von Messengern bereits auf dem Gerät abhörbar zu machen.

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Auch dieses von Kritikern als »Chatkontrolle« bezeichnete Verfahren konnte sich jedoch bislang nicht durchsetzen, unter anderem die deutsche Regierung lehnt es als Massenüberwachung ab.

Die Chatkontrolle ist laut den Befürwortern notwendig, da ansonsten sexualisierte Darstellungen von Kindern im Internet nicht verfolgt werden könnten. Jedoch sind die Aufklärungsquoten dieser Straftaten auch ohne Chatkontrolle hoch. Zudem warnen zahlreiche Organisationen und Verbände, unter ihnen auch aus der Wirtschaft, vor der Aushebelung von Verschlüsselung. Diese Kritik wird auch vom Deutschen Kinderschutzbund geteilt.

Nun hat die belgische Ratspräsidentschaft einen erneuten Versuch zur Einführung der Chatkontrolle gestartet. Vorgeschlagen wird, dass nicht sämtliche Messengerdienste das Verfahren einführen müssen, sondern solche mit besonderem Risiko. Für als »rot« eingestufte Dienste würden dann bestimmte Pflichten gelten, darunter das Umgehen der E2E.

Die regelmäßig durchgeführte Überprüfung der Firmen obläge demnach der Polizeiagentur Europol, die ebenfalls zu den Unterzeichnern der Erklärung der europäischen Polizeichefs gehört. »Unsere Häuser werden gefährlicher als unsere Straßen, da sich die Kriminalität ins Internet verlagert«, behauptete dazu die Exekutivdirektorin von Europol, Catherine De Bolle, am Sonntag.

Die Polizeichefs der EU-Mitgliedstaaten und der assoziierten Schengen-Länder hatten sich am Donnerstag in London getroffen. Es handelt sich um einen informellen Zusammenschluss, der nicht zur Union gehört und keine Maßnahmen beschließen kann. Trotz Brexit nimmt auch Großbritannien an den informellen Treffen teil.

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