30 Jahre Kryptokrieg

Eine geplante EU-Verordnung ist der Endgegner im Kampf um private Kommunikation

Mit dem Aufkommen verschlüsselter Kommunikation und einfachen Verfahren für deren Einsatz haben Regierungen auch an Maßnahmen zu deren Umgehung gearbeitet. Vor 30 Jahren schlug der US-Militärgeheimdienst deshalb vor, Hintertüren in Computer einzubauen. Damit war der erste »Kryptokrieg« eröffnet: Auf der einen Seite die Entwicklung sicherer Anwendungen durch gutmeinende Hacker, auf der Seite Behörden mit neuen technischen Verfahren zur Aushebelung der Technik.

Doch sichere Kommunikation ist auch für Behörden und die Wirtschaft unerlässlich. Deshalb hatte etwa die damals erste rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) 1999 ein Grundsatzpapier veröffentlicht, das Verschlüsselung befürwortet. Auch die folgenden Regierungen hielten an diesen »Eckpunkten der deutschen Kryptopolitik« fest und verwiesen auf das darin verankerte Ziel, Deutschland zum »Verschlüsselungsstandort Nr. 1« machen zu wollen. Jedoch heißt es einschränkend: »Durch die Verbreitung starker Verschlüsselungsverfahren dürfen die gesetzlichen Befugnisse der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden zur Telekommunikationsüberwachung nicht ausgehöhlt werden.«

Nach den Anschlägen des 11. September 2001 hatte das Thema wieder Konjunktur, Kritiker sprechen deshalb gern vom zweiten »Kryptokrieg«. Spätestens die Enthüllungen von Edward Snowden zeigten, welche beträchtlichen Fähigkeiten die Geheimdienste in dieser Zeit entwickelt haben – und den »Kryptokrieg« damit auch eine Zeitlang unbemerkt gewonnen hatten. Damit wurde aber auch die sichere, verschlüsselte Kommunikation populärer und mit verschiedenen Programmen auch nutzerfreundlicher. So brach vor gut zehn Jahren der dritte »Kryptokrieg« aus, diesmal auch in der Europäischen Union.

Den Anfang machte 2015 der damalige EU-Anti-Terrorismus-Koordinator, der die Kommission zur Suche nach Möglichkeiten aufforderte, um die Online-Dienste zum Einbau von Hintertüren für verschlüsselte Kommunikation zu zwingen (»share encryption keys«). Im gleichen Jahr kündigte die Kommission in ihrer »Sicherheitsagenda« an, dass »Bedenken der Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf die neuen Verschlüsselungstechniken Raum gegeben werden« soll. Rückendeckung kam vom damaligen Direktor der EU-Polizeiagentur Europol, der mehrfach vor der zunehmenden Nutzung von Verschlüsselungstechnologien als »eines der Hauptinstrumente von Terroristen und Kriminellen« warnte.

Immer wieder haben sich die Kommission und Europol seitdem mit Behörden, Firmen und Instituten getroffen und auf den Zugang zu verschlüsselten Inhalten gedrungen. Nach zahlreichen Arbeitsgruppen, Fragebögen, Machbarkeitsstudie, »Fortschrittsgruppen« und Sondertagungen brachte der deutsche EU-Ratsvorsitz mit einer Entschließung des Rates zur »Sicherheit durch Verschlüsselung und Sicherheit trotz Verschlüsselung« den Durchbruch. Darin wurde von Anbietern von Kommunikationsdiensten »und anderen einschlägigen Interessenträgern« die Mitarbeit an »technischen Lösungen und Normen« verlangt.

Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson will dieses Vorhaben nun endgültig umsetzen. 2020 machte das Magazin »Politico« eine Studie bekannt, in der die Kommission technische Möglichkeiten zum Zugang zu verschlüsselten Inhalten auf Mobiltelefonen untersuchen ließ. Durchgesetzt hat sich schließlich die »kundenseitige Kontrolle«, wie sie nun in der Verordnung zur »Chatkontrolle« vorgeschlagen wird. Der Kampf um diese Verordnung ist damit der vorläufig letzte »Kryptokrieg«, bei dem nichts weniger als die sichere und private Kommunikation auf dem Spiel steht.

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