Tatütata aus dem Ministerium

FDP will kurz vor der Wahl noch schnell die private Krankenversicherung retten

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Derzeit dürfen sich Bürger mit einem Bruttoeinkommen von 4350 Euro im Monat beziehungsweise 52 200 Euro im Jahr privat krankenversichern. Ressortchef Daniel Bahr (FDP) will diese Grenze aufheben.

Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) kann sich auf »seinen« Bundesgesundheitsminister verlassen. Erneut präsentierte dieser eine Idee, wie den Privaten aus maroder Finanzlage geholfen werden könnte. Der »Rhein-Zeitung« Koblenz sagte Daniel Bahr: »Ich möchte, dass alle Menschen selbst entscheiden können, wie und wo sie sich versichern wollen. Das ist meine Vision. Notwendig ist, dass jeder die Grundleistung versichert hat.« Was sich anhört, als solle endlich Schluss mit staatlicher Gängelei sein, ist nichts anderes als Lobbyismus.

Knapp neun Millionen Privatversicherte mussten in den letzten Jahren horrende Beitragssteigerungen hinnehmen, sie lagen teilweise bei 25 Prozent, nachdem es in den Jahren zuvor schon Erhöhungen auf bis zu 40 Prozent gegeben hatte. Darunter litten und leiden besonders ältere Versicherte, aber auch junge Selbstständige, die mit geringen Prämien geködert wurden und nach dem Scheitern ihrer Geschäftsidee oder geringeren Einkünften als angestrebt oft nicht mehr wissen, wie sie ihre Krankenversicherung bezahlen sollen. Ein Wechsel in eine andere Versicherungsgesellschaft kann hier auch nicht helfen, da dann die Altersrückstellungen verloren gehen. Seit Jahren fordern Politiker und Experten, der Rosinenpickerei der privaten Krankenversicherung, die sich gesunde Versicherte aussuchen darf, während alte, kranke bei der GKV landen, ein Ende zu bereiten, indem sie abgeschafft wird.

Nicht so der Bundesgesundheitsminister. Er fährt immer wieder selbst den Rettungswagen, um die privaten Gesellschaften zu reanimieren. So dürfen sie beim Hersteller Rabatte auf Arzneien in Anspruch nehmen, die von den gesetzlichen Kassen erkämpft worden waren. Sie bekommen mehr Gelder für ihre arbeitslosen Versicherten vom Jobcenter als die GKV und dürfen bei gleichen Leistungen weniger für einen Notlagentarif von ihren Versicherten verlangen als die gesetzlichen Kassen. Andererseits haben sie doppelt so hohe Verwaltungskosten als gesetzliche Kassen, immens wachsende Kosten, weniger Mitgliederzuwachs, ungerechtfertigt hohe Arzthonorare und immer mehr unzufriedene Mitglieder, die ihre Prämien nicht mehr aufbringen können. 2012 ermittelte ein Wirtschaftsinstitut, dass die Hälfte der Privatversicherten in das gesetzliche System wechseln möchte. Für die meisten ist der Weg jedoch per Gesetz versperrt.

Anstatt sich Gedanken über eine Frischzellenkur für die PKV zu machen, sollten Regierung und Minister den sozialen Ausgleich in der Krankenversicherung ins Auge fassen, meint Adolf Bauer, Chef des Sozialverbandes SoVD. Er plädiert ebenso für eine Bürgerversicherung wie alle anderen Sozialverbände, SPD, Grüne und LINKE. »Die FDP und Bahr wollen mal wieder Klientelpolitik für die Geldinteressen der PKV und privat abrechnende Ärzte als Freiheit für alle verkaufen. In Wahrheit erhalten die meisten Bürger lediglich die Freiheit, ohne vernünftiges soziales Netz durchs Leben zu gehen und im Krankheitsfalle eine Minimalversorgung zu erhalten«, so Martina Bunge von der LINKEN. Eine private Krankenversicherung sei für Geringverdiener und Menschen mit mittleren Einkommen ein großes Armutsrisiko und oft wäre die Prämie im Alter höher als die gesamte Rente, warnt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

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