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Antisemitismus in Berlin: Bedroht beim Plakatieren
Ein Aktivist will Plakate zum Holocaust-Gedenken aufhängen, als er plötzlich verfolgt wird – und die Aktion schließlich abbrechen muss
Der Übergriff reiht sich ein in einige Meldungen aus den vergangenen Wochen. Beim Plakatieren für eine Holocaust-Gedenkveranstaltung wurde ein Aktivist im Ortsteil Kreuzberg so lange von drei Personen bedroht, bis er fliehen musste. Das Antifaschistische Bündnis zum Gedenken an die Novemberpogrome in Berlin informierte am Montag über den Vorfall, der sich bereits am Samstagabend zugetragen haben soll.
»Was am Wochendende passiert ist, unterscheidet sich ein Stück weit von unseren bisherigen Erfahrungswerten«, erklärt ein Sprecher des Berliner Bündnisses aus antifaschistischen Gruppen gegenüber »nd«. Meist würden Plakatierende bei ihrer Arbeit »eher von rechts« angegangen. Die drei Menschen, die die Vorbereitungen für die Gedenkveranstaltung gestört hätten, würden jedoch mit pro-palästinensischen Botschaften in Verbindung gebracht, so der Sprecher. Neben »Free Gaza«-Rufen hätten die Angreifer*innen die Schoa relativiert und behauptet, dass das Leid der Palästinenser*innen schwerer wiege als der Holocaust.
Über mehrere Minuten sollen die Täter*innen das Bündnismitglied auf der Oranienstraße verfolgt und immer wieder frisch aufgehängte Plakate abgerissen haben. Auf Höhe des Rio-Reiser-Platzes, ehemals Heinrichplatz, habe der Aktivist schließlich aufgegeben und das Plakatieren abgebrochen. »Abbrüche kommen relativ selten vor. Meistens handelt es sich um Zufallsbegegnungen«, sagt der Bündnissprecher. »Es reicht meistens, sich einfach zu entfernen und dann weiterzumachen.«
Als antifaschistisches Bündnis rechne man bei Plakataktionen normalerweise mit Anfeindungen. Trotzdem sei der Aktivist am Samstagabend alleine unterwegs gewesen. »Der Plakatierer hat sich in Kreuzberg offenbar sicher gefühlt«, kommentiert der Sprecher. Auch in Friedrichshain und Pankow wurden dem Bündnis zufolge etliche Plakate zur Gedenkveranstaltung abgerissen, die am 9. November am Mahnmal in der Levetzowstraße in Moabit stattfinden soll.
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»Störfälle beim Plakatieren für Holocaust-Gedenkveranstaltungen sind an sich nichts Neues«, sagt Markus Tervooren, Geschäftsführer der Berliner VVN/BdA, zu »nd«. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ist Teil des antifaschistischen Bündnisses, das die Veranstaltung organisiert. »Es ist seit Jahren so, dass diese Plakate bestimmte Leute triggern.« Immer wieder kommentierten Menschen die Aktionen negativ, rissen Plakate wieder herunter oder beschmierten sie mit Sprüchen.
»Free Gaza« sei schon vor der neuerlichen Eskalation in Nahost keine Seltenheit gewesen – auch wenn die Mehrzahl böser Blicke aus der »deutschen, rechten Ecke« stamme, so Tervooren. Der 9. November werde stets mit Israel in Verbindung gebracht, obwohl es in erster Linie um die Verfolgung deutscher Jüdinnen und Juden geht. Dem VVN/BdA-Geschäftsführer ist es wichtig zu betonen: »Dass die Leute laut werden, ist die Fortsetzung einer Denke. Auch wenn es zuletzt vielleicht dramatischer geworden ist.« In den zurückliegenden Wochen, habe er das Gefühl, seien tatsächlich mehr Plakate beschädigt worden als etwa noch im vergangenen Jahr.
Einen Überblick über die aktuelle Lage in der Hauptstadt gibt die Berliner Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias). »Israelbezogener Antisemitismus ist gegenwärtig im öffentlichen Raum sichtbarer«, teilt deren Projektleiterin Ruth Hatlapa auf Anfrage von »nd« mit. Seit der Hamas-Attacke vom 7. Oktober verzeichnet Rias einen sprunghaften Anstieg antisemitischer Fälle in Berlin, darunter ein Fall »extremer Gewalt«, drei Angriffe und drei Bedrohungen. Dabei handele es sich noch um vorläufige Zahlen.
Dass Rias einen Vorfall in Berlin registriert, bei dem Plakate in unmittelbarer Anwesenheit der Plakatierenden abgerissen wurden, ist hingegen das erste Mal. Fälle abgerissener Aushänge an sich seien allerdings zahlreich bekannt. Im November 2022 sei außerdem in Lichtenberg eine Gedenkveranstaltung an die Schoa unter Bezug auf den arabisch-israelischen Konflikt gestört worden: Während einer Stolpersteinverlegung war eine Person handgreiflich geworden und hatte »Free Palestine« gerufen.
Plakate im Beisein der Plakatierenden abzureißen, stellt für Rias einen »aggressiven Akt« dar, gegen die Erinnerungsinitiative zum 9. November an sich. »Dass die Leiden der Palästinenser*innen zudem als schlimmer als die Schoa bezeichnet wurden, ordnen wir als Bagatellisierung der Schoa ein«, führt Hatlapa aus. »Auch ist darin das antisemitische Muster der Täter-Opfer-Umkehr erkennbar.«
Seit 1990 wird jährlich am Mahnmal in der Levetzowstraße der Opfer des deutschen Rassismus und Antisemitismus gedacht. Im Vergleich zu anderen Gedenkveranstaltungen zum 9. November rückt das Bündnis die antifaschistische und antinationale Perspektive des Gedenkens in den Vordergrund. Zum kommenden Donnerstag werden, neben Beiträgen aus dem Bündnis selbst, Reden von Zeitzeug*innen der ersten und zweiten Generation erwartet. Anschließend ist ein antifaschistischer Demonstrationszug zum Deportationsmahnmal Putlitzbrücke geplant – auf derselben Strecke, die Jüdinnen und Juden bei ihrer Deportation zurücklegen mussten.
Der 9. November 1938 war der Höhepunkt der antisemitischen Novemberpogrome, bei denen Geschäfte, Wohnungen und andere Orte jüdischen Lebens gestürmt und zerstört wurden. Für das Gedenkbündnis markiert das Datum den Übergang von der Diskriminierungs- zur Vernichtungspolitik im Nationalsozialismus. »Das Gedenken wird mit den aktuellen Ereignissen aktueller und wichtiger denn je«, sagt der Bündnissprecher. »Das Motto lautet: ›Jetzt erst recht.‹ Wir haben noch Plakate übrig.«
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