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»Ich spreche fünf Sprachen«

Twitter-Kampagne in Großbritannien gegen Integrationspläne für muslimische Frauen

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.
Sind muslimische Frauen »traditionell unterwürfig«? Das zumindest meint Großbritanniens Premier David Cameron. Zum Unmut vieler britischer Musliminnen. Die antworteten zehntausendfach auf Twitter.

Die Geschichte dieses Twitter-Sturms begann ganz harmlos: 20 Millionen Pfund wollte die britische Regierung in Sprachkurse und Schulen investieren, versprach Premierminister David Cameron vergangene Woche. Keine schlechte Sache, wären Geld und die außerdem eingeführten verpflichtenden Sprachtests für jene Bevölkerungsgruppen des Vereinigten Königreiches gedacht gewesen, die tatsächlich etwas Englisch-Nachhilfe gebrauchen können: Flüchtlinge, Analphabeten oder Schotten zum Beispiel.

Stattdessen verpflichtete die britische Regierung muslimische Frauen zum Sprachtest, schließlich bringe deren »traditionelle Unterwürfigkeit« nicht nur religiösen Extremismus sondern auch schlechtes Englisch hervor. So oder so ähnlich zitierte zumindest »The Telegraph« einen ungenannten Regierungsmitarbeiter, der sich wiederum auf seinen Chef Cameron berief und gab damit den Startschuss für traditionallysubmissive, die nächste politische Graswurzel-Kampagne auf Twitter.

1,5 Millionen Menschen - so viele Musliminnen gibt es in etwa im Vereinten Königreich - pauschal als »traditionell unterwürfig« zu bezeichnen, kam bei vielen der vermeintlich Unterwürfigen nicht so gut an. Zehntausende Musliminnen zeigen sich seitdem wenig unterwürfig, dafür mit umso mehr Sarkasmus ausgestattet. So präsentiert beispielsweise Fiza Azlam im hellblauen Blümchenkopftuch die Bilanz ihrer vermeintlichen Unterwürfigkeit: »Arbeite seit 22 Jahren im Gesundheitswesen, dreifache Mutter, zehnfache Großmutter, spreche fünf Sprachen UND Englisch, Ehrenamtliche.« Mit breitem Grinsen fragt Aasiya Versi: »Ich spreche vier Sprachen, wie viele sprichst du, David Cameron?« und fügt hinzu, wozu sie es trotz vermeintlicher Unterwürfigkeit noch gebracht hat: »liebe Tauchen/ lese jedes Jahr alle Harry Potter-Romane/ TV-Produktionsassistentin.«

Tausendfach geht das so weiter: Ob die Bücher schreibende Imkerin, die Karate kämpfende Wissenschaftlerin oder die Pilates-süchtige BBC-Moderatorin, alle sind sie muslimische Frauen, die sich bisher offenbar als wenig unterwürfig wahrgenommen haben. Dass es im Kern bei traditionallysubmissive aber um mehr geht als ein paar sarkastische Kommentare selbstbewusster Frauen in Richtung ihres Premiers, erfährt man, wenn man den Twitterstream auf Anfang zurückspult.

Am Beginn der über 30 000 Tweets mit traditionallysubmissive findet sich jener von Shelina Janmohamed, die die Kampagne initiiert hat. Sie ist keine Unbekannte in Großbritannien. Die Schriftstellerin, Bürgerrechtlerin und Bloggerin schreibt regelmäßig in den großen Tageszeitungen des Landes Kolumnen über das Leben muslimischer Frauen und Islamfeindlichkeit in der britischen Gesellschaft. Dafür wählte sie »The Times« 2015 zu einer der 100 einflussreichsten Musliminnen Großbritanniens.

»Unser Premierminister verbreitete die Vorstellung, dass muslimische Frauen kein Englisch sprechen können und brachte dies auch noch in Verbindung mit Vorstellungen von Isolation und Extremismus«, erklärt Janmohamed gegenüber »nd«. Für viele Frauen habe das »nichts mit der Lebensrealität muslimischer Frauen zu tun«. Vom Vorhaben der britischen Regierung, Geld in Sprachkurse für muslimische Frauen zu investieren, hält Janmohamed nicht viel. Schließlich habe Cameron selbst erst die Förderung für Englischkurse für Migranten gekürzt: »Die Förderung dann nur für muslimische Frauen wieder aufzulegen und sie mit einer Diskussion über Extremismus zu verbinden, dient nur der Unterstellung, muslimische Frauen seien ›ein Problem‹.«

Stattdessen sieht Janmohamed das Problem in der verbreiteten Diskriminierung von Muslimen in der britischen Gesellschaft. Diese machte »muslimischen Frauen, die hart arbeiten, um ein Teil der Gesellschaft zu sein und zu ihr beizutragen, das Leben schwer«. So sei es für kopftuchtragende Frauen schwer, Arbeit zu finden. Der Erfolg ihrer Twitter-Kampagne zeige, wie wie wichtig das Thema sei: »Auf einmal waren wir überall in den Nachrichten. Und das zeigt uns doch, dass wir über die Lebensrealität muslimischer Frauen sprechen müssen - mit ihren eigenen Stimmen statt mit einem bequemen Vorurteil über unterdrückte Frauen.«

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