Alle anderen covern irgendwas

Ein vertrauter und geliebter Gast am Sonntagabend: Matthias Dell über den Tatort »Sternschnuppe« und das Wiener Ermittlerpaar

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist nicht so, dass in Österreich alles besser wäre. Da ist etwa die Scham, von der vor einer Woche an dieser Stelle die Rede war – dem unangenehmen Gefühl beim Zuschauer angesichts verunglückter Intimität in einem Fernsehfilm wie dem Dortmunder »Tatort: Hundstage«. Diese Scham gibt es, in kleiner Dosis, in dem Wiener »Tatort: Sternschnuppe« (ORF-Redaktion: Alexander Vedernjak) auch. Und zwar ganz am Ende, wenn zweimal versehrte Castingshow-Kids einen übel-gefühligen Song mit genau dem übertriebenen Gesoule in der Stimme anstimmen, den die Castingshows als Singstandard hervorgebracht haben.

Die Szenen auf dem Friedhof sind auch deshalb so bedrängend, weil zum einen die Trauergemeinde beim zweiten Mal arg improvisiert erscheint, nämlich gerade mal vier Leute umfasst (Regie: Michi Riebl). Und weil zum anderen mit dem scheinbar einfühlsamen Gesinge der Attraktivität der Castingshow doch noch gehuldigt wird, wo sich die Folge 80 Minuten lang zuvor redlich mühte, pädagogisch wertvoll vor den Gefahren des schnellen Ruhms durchs Privatfernsehen zu warnen (Drehbuch: Uli Brée). Auch wenn sich der »Tatort« qua Besetzung des jungen Aris (Rafael Heider kommt nicht aus der Castingshow, sondern aus einer Musikerfamilie) aus der Affäre ziehen will – das von Heider selbstgeschriebene Stück unterscheidet sich eben nicht von der Konfektionsware der Hit-Fabriken.

Dafür hat sich, und damit wechseln wir auf die Sonnenseite, »Sternschnuppe« ein ziemliches Ekel als Leiche erfunden: Über den Udo, wie der in jeder Hinsicht fiese Musikproduzent genannt wird, heißt es einführend, gegen den sei Bohlen ein Ministrant. Der große Manipulator hängt nicht zufällig wie ein Sandsack im Gestänge seiner sexuellen Vorlieben – die Figur dient in ihrer krassen, nun vergangenen Boshaftigkeit als Gegenstand, an dem sich die Moral des Films ihr Mütchen kühlen kann. Alle vom Udo Missbrauchten dürfen sich retrospektiv abreagieren.

Die Tätersuche gestaltet sich darüber als der übliche Verdächtigenringelpiez, der möglichst lange Personen und ihre Motive gegeneinander verschiebt, damit die Zuschauerin bis zur Auflösung nicht weiß, wer es war. Gestreckt wird die Tat zudem durch die Mitwisserschaft von zwei Personen. Für die moralische Balance des Films ist der Freitod der armen Vera Sailer (Sabrina Rupp) ein interessanter Dreh: Auf diese Weise bleibt das Opfer Opfer, und die Schandtaten des Udo werden am Ende nicht durch das Abführen einer Täterin getrübt.

Was nun diesen recht gewöhnlichen ARD-Sonntagabendkrimi zu einem doch unterhaltsamen Fernsehabend macht, ist das Zusammenspiel der Protagonisten. Dabei ist es noch nicht einmal originell, einmal mehr auf den gewesenen Alkoholismus der Bibi (Adele Neuhauser) anzuspielen. Die, um in der Sprache des anfänglichen Running Gags zu bleiben, trockene Art und Weise, wie das geschieht, nimmt dann allerdings für den »Tatort« ein: das Wechselspiel von Dahinsagen, Echauffieren, Beschwichtigen und Echauffieren hat eine schöne Dynamik. Die in der Szene darauf noch einmal verlängert wird von der tumben Figur des Manfred Schimpf (Thomas Stipsits), der auch nicht die kernigste Erfindung in der Geschichte des »Tatort« ist und dennoch die Palette der Kollegen-Stereotypen erweitert um Momente, die jeder geläufig sein dürften, die mit mehr als drei Freunden zusammenarbeitet.

Zu den hübsch gezeichneten Variationen der »Tatort«-Standards gehört schließlich der Befall der Hauptfiguren vom Folgen-Motiv. In Dortmund musste man letzte Woche das Gefühl haben, dass die ewige Spiegelung aller Probleme des Falls in den Leiden der Kommissarinnen eine Bedeutung suggerieren soll, die tatsächlich aber gar nichts bedeutet. Hier dagegen verursacht die Sexualisierung von der Bibi und dem Brummbär Eisner (Harald Krassnitzer) doch immerhin eine kleine Wahrnehmungsverschiebung – die im Film verwendeten Autos schaut man nach der Bibi-Analogie (das eigene Kfz stehe für die eigenen sexuellen Wünsche) von sich aus mit großem Interesse an. Allein wegen solcher Kleinigkeiten ist einem das Wiener Ermittlerpaar doch vertrauter und geliebter Gast am Sonntagabend.

Eine Frage aus den oberen Etagen des Investmentbankings:
»Wieso hat man in diesem Scheißjob immer nur mit kaputten Typen zu tun?«

Eine Einsicht, die in der ARD undenkbar wäre:
»Sorry, wir sind hier beim Privatfernsehen.«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Unser Verhältnis ist rein beruflich.«

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