Eine utilitaristische Betrachtungsweise des Drogenkonsums
Nun haben sie also »Substanzen« bei jenem Herrn Beck gefunden, der stets die Ansicht hegte, dass die »Kriminalisierungspolitik von Drogenkonsumenten« gescheitert sei. Jetzt wird er selbst kriminalisiert. Er war nur konsequent – und deshalb stellt sich nun mehr als in anderen ähnlich gearteten Fällen die Frage: Wen hat der Mann eigentlich geschadet? Das ist ja eine der grundsätzlichen Fragen, die Befürworter einer laxeren Drogenpolitik in den Diskurs werfen. Was spricht gegen Legalisierung, wenn selbige zu einer Entkriminalisierung und zu weniger kriminellen Einzelschritten bei der Beschaffung und beim Konsum führen? Ein leichterer Zugang zu bestimmten Substanzen nimmt Dealern und Produzenten den Markt, bremst den kriminellen Wettbewerb und macht Konsumenten sukzessive zu Menschen, die nicht mehr in den düsteren Nischen der Gesellschaft abtauchen müssen, um nicht von einer Moral torpediert zu werden, die auch noch den Richterspruch hinter sich weiß.
Herr Beck hat in erster Linie sich geschadet. Medizinisch betrachtet. Wenn überhaupt. Vielleicht hat er einige zwielichtige Gestalten mit seinem Kauf finanziert und somit irgendwie auch der Gesellschaft keinen Dienst erwiesen.
Andererseits ist jeder Erwerb von Aktien eine Unterstützung zwielichtiger Praktiken. Man denke an Bad Banks und toxische Papiere. Die Grenze zwischen moralischer und unmoralischer Gesellschaftsschädigung ist zwar klar gezogen, gleichwohl aber beliebig. Wegen des Fundes einer »betäubungsmittelverdächtigen Substanz«, mit der man in erster Linie sich selbst und einer recht übersichtlichen Entität Dritter (indirekt) schadet, tritt man zurück. Schadet man allerdings Millionen von Menschen ganz direkt und ungeniert, nimmt man ihnen finanzielle Grundlagen, Ersparnisse und Träume, treibt sie in den Ruin, entwertet man ihre durch Arbeit geschaffenen Werte, so kann man fröhlich weitermachen und wird von der Allgemeinheit gestützt und auch weiterhin als ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft umschmust.
Nehmen wir doch nur mal die Agendisten und Schröderianer. Sie haben Millionen Einzelschicksale in Bedrängnis gebracht, sie kriminalisiert und mit Sozialschmarotzerdebatten überzogen. Ganze Erwerbsvitae wurden verstümmelt. Menschen wurden gezielt vom Niedriglohnsektor shanghait, nach kurzer Vakanz vom Arbeitsmarkt zu Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfebezieher ohne nennenswerte Rechtsansprüche degradiert. Hier wurde also wirklich beträchtlicher Schaden über die Menschen gebracht. All die Zwanzigerzehner sind heute in Amt und Ehren, verdienen beträchtlich, werden als Fachleute gepriesen und keiner legt ihnen nahe, sich zum Teufel oder zum Pfefferwuchs zu scheren. Millionen Geschädigte – aber zurück tritt man nur, wenn man relativ wenig Schaden fabriziert.
Fragte man einen der cleanen Moralisten dieser Tage, würde er vielleicht das Übliche antworten: Wer sich berauscht, ist nicht mehr einsatzfähig, kann nicht mehr arbeiten, wird zur Belastung, ja auch zur Gefahr. Man müsste antworten, dass Volker Beck keinen solchen Eindruck hinterlassen hat. Und selbst wenn es so geendet hätte: Ist der entstandene (volkswirtschaftliche) Schaden nicht immer noch niedriger, als das, was die Agenda 2010, was der Neoliberalismus an Sach- und Personenschaden geleistet hat?
Wahrscheinlich ist dieses Abwägen dann doch zu utilitaristisch, vielleicht kann man so nicht messen. Aber wieso eigentlich nicht? Jetzt hat Beck etwas getan, was schlechterdings ihm schlecht bekommen könnte; vor etlichen Jahren war er dabei, als es Millionen anderen die Perspektiven verhageln sollte. Er war kein strikter Zwanzigerzehner seinerzeit, aber braver Koalitionär und grundsätzlich für die Stossrichtung der Reformen. Das wäre mehr Grund zur Schadensregulierung gewesen, hätte mehr Berechtigung erzeugt ihn aus der Politik zu jagen, als die 0,6 Gramm Substanz, die Volker Beck nur Volker Beck zu Schaden verabreicht hätte.
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