Ich Kunst, sie Kunstgeschichte

Das ist also, was von der Klassenfrage übrig blieb? Sehr reiche Leute in einer Welt wie aus der Systemgastronomie: Matthias Dell über den Luzerner Tatort »Kleine Prinzen«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Inniger Zuneigung zum Schweizer »Tatort« steht in Deutschland zuerst die Nachsynchronisation im Wege; die macht aus jedem Film trockenes Textaufgesage. Darüber hinaus geht Luzern in der Folge »Kleine Prinzen« (SRF-Redaktion: Maya Fahrni) allerdings auch nur so motiviert ans Werk wie ein Angestellter am Freitagmittag, der sich darauf konzentriert, den frühen Feierabend und damit das bevorstehende Wochenende nicht durch übermäßigen Aktivismus zu gefährden. Der »Tatort« spult sein Programm ab.

Und er macht es dem Publikum etwa schon dadurch leicht, dass er in einer Welt verortet ist, zu der er den Großteil seines Publikums nicht rechnet: die Welt sehr reicher Menschen, die ihre Kinder auf teure Internate schicken, um der Asozialität des sehr reichen Reichtums so etwas wie Erziehung entgegenzusetzen.

In solchem Umfeld hat der »Tatort« als Agent einer Mittelschicht immer schon gewonnen, weil er seiner Zuschauerin permanent sagt: Du hast zwar nicht so viel Geld wie diese Emire und Unternehmer (»Heute habe ich das größte medizinische Labor in der Romandie«), dafür das Herz aber am rechten Fleck. Ein Subalterner wäre der trostlose Lastkraftwagen-Fahrer Fritz Loosli (Urs Jucker), der so viel arbeiten muss, dass er am Volant einnickt und tote Mädchen überfährt.

Antagonistin der identifikatorischen Simplifizierungen ist in »Kleine Prinzen« die Internatsleiterin (Esther Gemsch), die jeden ihrer bisweilen komischen, weil tautologischen Sätze (»Unsere Lehrer und Lehrerinnen sind alles ausgebildete Fachkräfte«) hinsagt in einem Schnepfismus, der nur zu Empörung von uns beherzten Besitzlosen gemacht ist.

Schon deswegen kann einem ganz trüb werden: Das ist also, was von der Klassenfrage übrig blieb - eine Art Pawlowscher Reflex des Schichtendenkens, bei dem jeder möglichst abgehobene Internatsleiterinnen-Satz wie der Glockenton erklingt, der dem Kleinbürger vor dem Bildschirm den Speichelfluss verursacht, über den der sich, und das ist das komplett Blöde, dann auch noch freuen soll. Sabber of Selbstbestätigung.

Natürlich sind sehr reiche Menschen eine Realität, aber mit der Realität hat es »Kleine Prinzen« nicht so (Buch: Stefan Brunner, Lorenz Langenegger). Der Film interessiert sich gerade nicht für die spezifischen Sorgen und Nöte seines Milieus, sondern kloppt alles einfach zusammen, er geht an die Ausstattung seiner Welt wie die Systemgastronomie, in der das Sandwich in der Filiale in Kuala Lumpur genauso schmecken soll wie das in Dresden.

Betroffen davon ist zum einen die Al-Numi-Familie, die das oberste Stockwerk des Hotel National, Erstes Haus am Platz, kurzerhand zu diplomatischem Hoheitsgebiet erklärt hat. Der betrübte Fahd-Filius (Hassan Akkouch), der gut im Aktzeichnen ist und als Hanno Buddenbrook seiner Verhältnisse davon träumt, in London als Künstler zu leben, statt das heimische Emirat zu unternehmen, wäre als Witz ja ganz hübsch, nur hat »Kleine Prinzen« leider keinen Humor.

Ansonsten zieht sich der Rest der Familie für jeden Pflichttermin Thawb und Agal über und gibt derart eine Mischung ab aus dem Klatschpersonal, um das sich die »Gala« kümmert, und der Fremdheitskarikatur, die auf den Namen »der Araber« hört. Die sexuellen Reize des Schweizer Mädchens Ava (Ella Rumpf), das am Ende ohne Sinn und Erklärung vom Fahd-Bruder demonstrativ gefreit wird (»Er wollte mir zeigen, wie der Westen wirklich ist«), hat der Film immerhin so oft leitmotivisch im Bikini vor die Kamera gehalten, dass man das mit dem Begehren schon irgendwie verstehen kann.

Fern von Realität ist zum anderen, was sich unter dem Vorsitz von Flücki Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) hier Ermittlung nennt. Warum bugsiert sich der »Tatort« nur in juristisch komplexe Bereiche, wenn er kein Empfinden für die Grenzen der Polizeiarbeit hat? Dass der vom Fall abgezogene Kommissar den Opfervater mit Medizinlabor (dem größten in der Romandie) um einen DNA-Test des Täters bittet, das würde man sich als Drehbucheinfall doch höchstens für eine Krimi ausmalen, der noch erwachsen werden muss.

Um nicht nur zu schimpfen: Die Kamera von Stéphane Kurthy hat durchaus ein Gefühl für den Beton von Luzern.

Eine Information, mit der man es weit bringen kann:
»Ich habe ein Fahrrad.«

Ein Idee, auf die Horst Seehofer noch kommen muss:
»Nationale Interessen – so'n Scheiß.«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Wo waren Sie vorgestern?«

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