Vater von Amokläufer verklagt Ärzte

Bluttat von Winnenden erneut vor Gericht

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Heilbronn. War der Amoklauf von Winnenden am 11. März 2009 vorhersehbar? Mit der Frage befasst sich fast genau sieben Jahre nach der Bluttat mit 16 Toten das Landgericht Heilbronn. Der Vater des Täters Tim K. verklagt Ärzte und Therapeuten. Sie hätten ihn warnen müssen, dass von seinem Sohn große Gefahr ausgehe, argumentiert der ehemalige Unternehmer. Es gebe keine denkbare Diagnose, die eine solche Amoktat auch nur erahnen lasse, entgegnete Gutachter Helmut Remschmidt nach Prüfung der ärztlichen Akten. Ursache für die Tat sei allein der freie Zugang zu Waffen im Elternhaus des Täters.

Mit seiner Klage will der Vater erreichen, dass die Experten die Hälfte des Schadenersatzes übernehmen, den er an Opfer, Hinterbliebene, die Stadt Winnenden und die Unfallkasse Baden-Württemberg zahlen muss. Das Landgericht taxierte die Summe auf vier Millionen Euro. Wann die Entscheidung fällt, steht nicht fest.

Bis ein halbes Jahr vor der Bluttat hatten Ärzte und Therapeuten vier Gespräche mit dem späteren Amoktäter. Dabei sei es zu Behandlungsfehlern gekommen, argumentiert der Vater, der zur Verhandlung am Dienstag nicht nach Heilbronn gekommen war. Seine Anwälte legten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Auch die Experten wollten sich nicht äußern und verwiesen auf ihre ärztliche Schweigepflicht, die auch über den Tod hinaus gelte.

Den Eltern des Amoktäters sei nach vier Gesprächen im September 2008 eine umfassende Therapie angeraten worden, argumentierte die Verteidigerin der Fachleute des Zentrums für Psychiatrie in Weinsberg. Die Behandlung sei nie angetreten worden. Im ersten Gespräch hatte Tim K. einer Ärztin gegenüber von Tötungsfantasien gesprochen. Er habe Gedanken, »alle erschießen« zu können, steht in den Akten. Am Ende stand die Diagnose einer sozialen Phobie des Jugendlichen. Diese Diagnose bezeichnete ein Gutachter am Dienstag als »nicht ganz zutreffend« - von einer Fehldiagnose könne aber nicht gesprochen werden.

Tim K. hatte an seiner ehemaligen Schule und auf der Flucht 15 Menschen und sich selbst erschossen. Die Tatwaffe hatte sein Vater, ein Sportschütze, im Kleiderschrank versteckt. Das Landgericht Stuttgart verurteilte ihn wegen fünfzehnfacher fahrlässiger Tötung zu 18 Monaten Bewährung. Auch entschied das Gericht, dass der Mann für Behandlungskosten von Opfern und Hinterbliebenen aufkommen muss. Mehrere Forderungen sind bereits beglichen: Zwei Millionen Euro flossen von der Versicherung des Vaters an mehr als 30 Opfer und Hinterbliebene, 400 000 Euro an die Stadt. Forderungen der Unfallkasse für Heilbehandlungen von Schülern, Eltern und Lehrern über eine Million Euro stehen aus. dpa/nd

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