Fast vergessene Vorhöllen

In Sachsen wird die Geschichte der frühen KZ wiederentdeckt

  • Hendrik Lasch, Sachsenburg
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.

Das NS-Lagersystem begann nicht mit Buchenwald. Allein in Sachsen gab es zwei Dutzend frühe KZ, darunter das berüchtigte Sachsenburg. Zuletzt verfallen, soll es jetzt wieder aus dem Vergessen geholt werden.

Steinehämmern im Akkord war Max Sachs nicht gewohnt. Der jüdische Sozialdemokrat war Redakteur einer Dresdner Zeitung und Landtagsabgeordneter gewesen, bevor ihn die Nazis kurz nach der Machtergreifung verhafteten und nach Sachsenburg brachten, ein KZ, das im Mai 1933 in einer Textilfabrik im Tal der Zschopau bei Frankenberg eingerichtet worden war. Sein Zweck: politische Gegner, die ohne Prozess eingeliefert worden waren, zu drangsalieren, zu demütigen und zu brechen.
Sachs bekam das in voller Härte zu spüren. Zunächst dem Steineklopfer-Kommando zugeordnet, wurde er, weil seine Hände binnen kurzem bis auf die Knochen zerschunden waren, zur Fäkalienabfuhr eingeteilt. Auch dort wurde er auf das Schlimmste gepeinigt. Zuletzt lebend gesehen wurde Sachs von einem Mithäftling, der nachts beobachtete, wie er im Klo von SA-Leuten mit eiskaltem Wasser überschüttet wurde. Am Morgen darauf, nur wenige Tage nach seiner Einlieferung in Sachsenburg, war Sachs tot - angeblich wegen eines Herzinfarkts. Sein Körper indes war derart fürchterlich entstellt, dass die herbeigeholte Leichenwäscherin die Arbeit verweigerte.
Lager wie Sachsenburg entstanden in Deutschland in großer Zahl, kaum dass die Nazis im Januar 1933 die Macht übernommen hatten. Rund 100 wurden im Reich errichtet, allein 23 waren es in Sachsen, wo sowohl die NSDAP als auch ihre politischen Gegner - KPD, SPD, Gewerkschaften und viele andere Arbeiterorganisationen - stark verankert waren. In den Lagern wurden deren Anhänger systematisch ausgeschaltet. Die KZ seien »unverzichtbares Repressionsmittel auf dem Weg von der Demokratie in die Diktatur« gewesen, sagt Carina Baganz. Die Historikerin hat über die frühen Konzentrationslager in Sachsen promoviert und ist Mitautorin einer Ausstellung zum Thema, die derzeit in Frankenberg zu sehen ist.

Weit verbreitete Unwissenheit
Mit der Schau, in der die Genesis der Lager ebenso beleuchtet wird wie exemplarische Biografien von Opfern und Tätern, sollen die frühen KZ dem Vergessen entrissen werden. Es herrsche »weit verbreitete Unwissenheit«, sagt Norbert Haase, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, von der die Ausstellung erarbeitet wurde. Ein wesentlicher Grund dafür sei, dass sich das Gedenken an die späteren Vernichtungslager »über die Erinnerung an die frühen KZ geschoben« habe, so die Berliner Wissenschaftlerin Stefanie Endlich. In der Bundesrepublik habe bis in die 80er Jahre die Einstellung dominiert, frühe Lager seien »keine richtigen KZ« gewesen. Erst seither wurden einige der Orte - eine Möbelfabrik in Osthofen, das Kloster in Breitenau, ein Fort am Ulmer Ochsenberg - zu sehenswerten Gedenkstätten ausgebaut.
In Ostdeutschland verläuft die Geschichte in eine andere Richtung. Trotz »eindeutiger Dominanz der großen nationalen Gedenkstätten«, von der Endlich spricht, wurde hier schon zeitig auch an die frühen Lager erinnert: Seit 1968 gab es eine Gedenkstätte in Sachsenburg, gleiches galt für das KZ Lichtenburg bei Wittenberg. Nicht zuletzt eine einseitige Ausrichtung des Gedenkens auf den kommunistischen Widerstand führte aber nach 1989 zu einer Kehrtwende. Bei der Lichtenburg mündete das in jahrelangen Streit zwischen Land und Kommune über die in der Wissenschaft anerkannte überregionale Bedeutung - und damit um Geld. Zudem haben Opfer und Land konträre Vorstellungen zur Gestaltung. Zwar ist nun eine Aufnahme in die Gedenkstättenförderung des Landes beabsichtigt. Praktisch aber tritt das Verfahren auf der Stelle.

Tristes Bild: Moos, Bauschutt und Gerüste
Auch Besuchern von Sachsenburg bietet sich ein tristes Bild. Ein Denkmal, das der Bildhauer Hannes Dietrich schuf und das eine Gruppe von vier Häftlingen darstellt, zerbröckelt; der rote Porphyr ist von Moos überzogen. Das wuchtig im Tal thronende Fabrikgebäude, in dem zu Spitzenzeiten im Oktober 1935 über 1500 Häftlinge hausten, steht leer und ist unzugänglich. Die in einem Nebengebäude eingebauten Arrestzellen sind zwar noch zu sehen. Dazu aber muss man sich an Gerüstteilen vorbeizwängen. Sie verdecken auch den Haken, an dem früher ein Kranz zum Gedenken an die Opfer hing. Bildtafeln der früheren Gedenkstätte fand der heutige Eigentümer des Fabrikgeländes zwischen Bauschutt.
Überlebende, die sich alljährlich zum Gedenken treffen, beklagen den maroden Zustand des Ortes seit langem. In der breiten Öffentlichkeit schien das Bedürfnis nach Erinnerung aber geschwunden zu sein. Es gebe »heute viel Wichtigeres, als Mahnmale der Vergangenheit kostenaufwendig zu erneuern und erhalten«, hieß es im Jahr der Gedenkstättenschließung 1993 in einem Leserbrief in der Regionalpresse, der die Überschrift »Arbeitsplätze statt Gedenkstätten« trug. Der »übertriebene Totenkult« der Opferverbände, fügte die Autorin hinzu, dürfe vom Staat nicht noch unterstützt werden. Als der Opferverband VVN-BdA 1994 eine Broschüre auflegte, habe man sich »mit der Behauptung auseinandersetzen müssen, es habe gar kein KZ gegeben in Sachsenburg«, berichtet der Landeschef Hans Lauter.
Zwölf Jahre später erinnert sich nun zumindest der Stadtrat von Frankenberg, wohin Sachsenburg inzwischen eingemeindet wurde, an die Verbrechen. Die Kommunalpolitiker haben beschlossen, wieder einen würdigen Gedenkort einzurichten. Neben einer Tafel mit Namen der Opfer wird auch über eine Dokumentationsstelle in der Fabrik und Wegweiser nachgedacht. Über das genaue Konzept wird geredet, sagt Bürgermeister Thomas Firmenich. Auftakt waren ein mit der Gedenkstättenstiftung organisiertes Kolloquium und die Eröffnung der Ausstellung.
Dort gezeigte Dokumente verdeutlichen, dass es sich bei den frühen KZ keinesfalls um harmlose Vorstufen des späteren Lagersystems handelte. »Bericht aus einer Hölle« überschreibt Hugo Gräf, ein ehemaliger KPD-Reichstagsabgeordneter, seine 1936 in einer Exilzeitung gedruckten Erinnerungen an Sachsenburg. Er schildert die zunehmende Brutalität des Wachpersonals und Gewaltorgien auf dem hier erfundenen Prügelbock, aber auch den schrittweisen Entzug aller Rechte für die Häftlinge, die keinen Besuch empfangen durften, kaum Verpflegung erhielten und, falls sie doch frei gelassen wurden, den Aufenthalt mit zwei Reichsmark pro Tag bezahlen mussten.

Gedenkstättenarbeit und politische Bildung
Aus heutiger Sicht und angesichts wachsender rechtsextremer Tendenzen in der Gesellschaft ist es nicht zuletzt diese systematische Auflösung und Zerstörung des Rechtsstaats durch das NS-Regime, die Beachtung verdient, sagt Andreas Wagner vom Verein Politische Memoriale aus Mecklenburg-Vorpommern. Gedenkstättenarbeit könne an solchen Beispielen zeigen, »welche Werte wir in der Gesellschaft pflegen wollen und wie man sich gegen ihre Zersetzung wehrt«. Auch Historikerin Baganz hebt hervor, wie wichtig die frühen KZ für die Etablierung des Systems gewesen seien - sowohl um politischer Gegner direkt zu terrorisieren, als auch, um ein Klima der Angst zu schaffen: »Das Wissen um die Existenz der Lager half bei der Festigung des Regimes.«
Dies galt um so mehr, als beileibe nicht nur politische Aktivisten inhaftiert wurden. Eingesperrt wurden in Sachsenburg auch ein Gutsbesitzer, der keine Pferde für ein NS-Erntedankfest hergeben wollte, sowie Zeugen Jehovas und Pfarrer der Bekennenden Kirche. Freilich: Die übergroße Mehrheit waren politische Häftlinge, jeder zweite war Kommunist. Das dürfe bei der Neugestaltung der Gedenkstätte nicht vergessen werden, sagt der Leipziger Historiker Werner Bramke: »Zweck der frühen KZ war, politische Gegner zu isolieren.« Diese Dominante, so der frühere PDS-Landtagsabgeordnete, dürfe nicht verloren gehen.
Abgeschlossen sein dürfte die Diskussion - trotz des guten Willens der Frankenberger Kommunalpolitiker - wohl auch im Sommer 2007 noch nicht. Dann ist es 70 Jahre her, dass das KZ Sachsenburg aufgelöst wurde. Ein Ende der Torturen für die Häftlinge bedeutete das freilich nicht. Sie wurden 1937 nach Buchenwald verlegt, wo sie das Lager am Ettersberg errichten mussten. Der berüchtigte Prügelbock wurde in anderen KZ weiter genutzt.
Auch viele Aufseher und Wächter machten Karriere in anderen Lagern. In Sachsenburg, sagt Carina Baganz, war »alles angelegt, was in den späteren KZ zur Entfaltung kam: Terror und Misshandlung, Arbeit und Arrest, Folter und Mord«.

Die Ausstellung »Was dann losging, war ungeheuerlich« ist zunächst im Haus »Stadtpark« Frankenberg zu sehen.
Öffnungszeiten: Di/Do 13-18 Uhr, Sa/So 10-16 Uhr oder nach Absprache (037206-64165). Sie wird später in Riesa,...

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