Mietmäuler und Musterkoffer

Wie große Pharmafirmen mit »kleinen Helfern« ihre Gewinne steigern

Rund 18 000 Pharmavertreter sind in den deutschen Arztpraxen unterwegs und versuchen, Mediziner von dem Mittel zu überzeugen, das ihrer Firma Gewinn bringt. Dem Patienten wird infolgedessen nicht immer das zweckmäßigste und preiswerteste Medikament verschrieben.

Manchmal sitzt im Praxis-Wartezimmer der Frauenärztin Kathrin Werder* eine gepflegte Dame mit Koffer. Sie wartet geduldig, bis die letzte Patientin aufgerufen wurde. Dann begrüßt sie Kathrin Werder freundlich und nimmt ihr gegenüber Platz - dort, wo sonst die Patientinnen sitzen. Sie öffnet ihren Koffer, in dem bündelweise Prospekte und Broschüren stecken: Die Mittdreißigerin ist Pharmareferentin und versucht Kathrin Werder von einem Produkt ihrer Firma, einer speziellen Anti-Baby-Pille, zu überzeugen. »Wenn zu uns Pharmaberater kommen, geht es meistens um die Pille«, berichtet Werder, die in einer modernen Gemeinschaftspraxis arbeitet.
Nach Angaben des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sind in Deutschland bis zu 18 000 Pharmaberater unterwegs. Sie kosten die Arzneimittelhersteller viel Geld - doch die Investition lohnt sich offenbar: Nach einer Studie des Branchenverbands »Pro Generika« erachtet ein Großteil der Ärzte Pharmavertreter als wichtige Informationsquelle.

Pharmawerbung kann Patienten gefährden
Manche Besuche sind auch für Kathrin Werder interessant. Natürlich gehe es dabei um den Wirkstoff, den die Firma vermarktet, sagt sie. »Dennoch schaffen diese Berater es, dass man sich nicht bestochen fühlt.« Es gebe aber auch andere Fälle. Einmal, berichtet Werder, habe eine Vertreterin sie für eine so genannte Anwendungsbeobachtung gewinnen wollen. Damit wollen Pharmafirmen herausfinden, wie sich neu eingeführte Medikamente im Alltag auswirken. »Ich sollte zehn Patientinnen auf eine bestimmte Pille ersteinstellen und jeweils einen Fragebogen ausfüllen. Pro Bogen hätte ich 20 Euro als Aufwandsentschädigung bekommen«, berichtet Werder. »Das habe ich nicht gemacht, weil ich nicht viel von dem Präparat halte. Ich halte diese Pille auch für zu teuer.« Wäre Werders Entscheidung anders ausgefallen, hätte manche Patientin tiefer in die Tasche greifen müssen - ohne zu wissen, warum.
Die Anwendungsbeobachtungen sind in letzter Zeit immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Kritiker unterstellen diesen Studien mangelnde Seriosität und gehen davon aus, dass Pharmafirmen sie als Marketinginstrument nutzen, um die Verkaufszahlen zu steigern. Für den Pharmakologen Prof. Peter Schönhöfer sind sie »wissenschaftlich ohne Wert«, da die Produkte oft fünf bis zehn Jahre am Markt seien. Auch die Pille, die Kathrin Werder verschreiben sollte, war etwa zwei Jahre auf dem Markt. Dorothee Brakmann, Apothekerin bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, hält Anwendungsbeobachtungen prinzipiell für sinnvoll. Doch manche dienten »allein dem Marketing«. Das sieht die Industrie anders: Anwendungsbeobachtungen seien klar geregelt, sagt BPI-Sprecher Wolfgang Straßmeir. Alle würden an die Krankenkassen gemeldet, von denen noch nie ein Einwand kam.
Offenbar sind auch die Informationen, mit denen Pharmafirmen werben, mit Vorsicht zu genießen. So beriefen sie sich des öfteren auf Studien mit geringen Teilnehmerzahlen oder wenig aussagekräftige Vergleiche von Medikamenten, erklärt Jean-Francois Chenot von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM): »Es wird gern das dargestellt, was gut passt.« Härter urteilen die Autoren einer Studie des Kölner DIeM-Instituts, veröffentlicht in der Zeitschrift »arznei-telegramm«: Die Aussagen der Pharma-Werbeprospekte entbehrten »im weitaus überwiegenden Teil« einer wissenschaftlichen Grundlage. Dies führe zur Desinformation der Ärzte und damit zur Gefährdung der Patienten. »Massive Fehlinformation« bewirke außerdem unwirtschaftliches Verhalten.
Für einen Arzt sind Informationen vom Pharmaberater schwer zu überprüfen. »Letztendlich ist es eine Frage der Sympathie, ob ein Berater bei einem Arzt landen kann«, sagt Frauenärztin Werder. Diese Aussage deckt sich mit Ergebnissen einer Untersuchung der Unternehmensberatung NOHETO!, die von Absolventen der Universität Witten/Herdecke betrieben wird. So könne ein gutes Verhältnis zwischen Arzt und Pharmaberater dazu führen, »dass ein Produkt bevorzugt wird«, sagt Laura Slevogt von NOHETO!. Daneben können Ärzte bei ihren Verschreibungen aber noch andere Faktoren beeinflussen: »Für manche Ärzte ist entscheidend, ob Patienten die Tabletten gut schlucken oder teilen können oder ob sie sich gut von anderen Medikamenten unterscheiden«, sagt Slevogt. Für den Patienten bleibt meist im Dunkeln, warum sich der Arzt für eben dieses Medikament entschieden hat. Einen gewissen Einfluss haben auch kostenlose Muster, die Pharmaberater an Ärzte verteilen. »Man nennt diese Methode "Anfüttern"«, sagt Jean-Francois Chenot von der DEGAM. Beginnt der Patient, ein bestimmtes Präparat zu nehmen, muss er es manchmal jahrelang weiter einnehmen. Nach der Erfahrung Kathrin Werders werden Muster inzwischen aber seltener verteilt.

Manipulation mit Ärzte-Software
Häufig haben Pharmaunternehmen bei Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte ihre Finger im Spiel. So sponsern sie Tagungen und laden Spezialisten ein, die sie für ihre Vorträge bezahlen, wie Chenot berichtet. Böse Zungen nennen solche Experten »Mietmäuler« und bezweifeln, dass ihre Beiträge neutral sind. »Offene Werbung ist inzwischen allerdings selten geworden«, sagt Chenot. Die Pharmaindustrie ist offenbar vorsichtiger geworden. Verführerische Einladungen zu Ärztekongressen in Davos - mit Galadiner und Skikurs - werden langsam Klischee. Vor zwei Jahren hat sich die Pharmaindustrie einen Verhaltenskodex auferlegt, nach dem Einladungen dieser Art nicht zulässig sind. Bei Verstößen drohen Geldstrafen. In über hundert Fällen wurden Sanktionen verhängt, wie Markus Hardenbicker, Sprecher des Vereins »Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie«, berichtet. Er findet, dass »eine Verhaltensänderung« stattgefunden habe.
»Echte Manipulation« geht Dorothee Brakmann zufolge von Computer-Software für Arztpraxen aus, bei denen Pharmafirmen Geld zuschießen. Die Firmen schließen Kooperationsverträge mit Softwareherstellern. Dadurch werden die Programme für Ärzte preiswert, enthalten aber Werbung. Außerdem soll es auch eine Sortierung der Medikamente zugunsten der werbenden Hersteller gegeben haben: So erschienen die Präparate beteiligter Unternehmen an erster Stelle - auch, wenn sie nicht die billigsten waren. Nachdem Software dieser Art auch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kritisiert worden war, unterzeichneten große Hersteller eine freiwillige Selbstverpflichtung. Wählt der Arzt ein Präparat aus, darf ihm jetzt nur die Alternative eines werbenden Herstellers angezeigt werden, wenn diese preisgünstiger oder preisgleich ist. Außerdem muss Werbung als solche gekennzeichnet sein. Darüber hinaus verpflichteten sich Hersteller, auf Wunsch eine werbefreie Variante zur Verfügung zu stellen. Ab 2007 müssen die Programme von der KBV zertifiziert werden. BPI-Sprecher Wolfgang Straßmeir gibt sich gelassen: »Egal ob gesponserte Praxis-Software oder Besuch eines Pharmavertreters - die Entscheidung liegt immer beim Arzt.«

*Name geändert

Betrug, Bestechung, Verschwendung
»Transparency International« (TI) zufolge entstehen im deutschen Gesundheitswesen durch Betrug, Verschwendung und Korruption Schäden zwischen 8 und 24 Milliarden Euro pro Jahr. Da sich der Staat aus der Pharmaforschung zurückzog, gebe es fast nur noch Wirkstoffe, die in pharmaindustrie-abhängigen Firmen entwickelt würden. Hochschul-Gutachten würden von ihnen bezahlt und seien nicht neutral. Klinische Studien würden häufig so konzipiert, dass Produktvorteile ermittelt werden. Wissenschaftler und Fachgesellschaften würden durch Honorare gebunden. Transparency kritisiert ärztliche Fortbildung, die von der Pharmaindustrie finanziert wird. Untersuchungen des Verschreibungsverhaltens zeigten, dass dies Erfolg habe. Als »Fortbildung« bezeichnete Marketingveranstaltungen dürfen de...

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