Noch lange nicht ausgewachsen

Vor genau zehn Jahren wurde der neue Hauptbahnhof im Zentrum eröffnet

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Hauptbahnhof wurde am 26. Mai 2006 eröffnet, er ist bis heute eine Baustelle - und wird noch lange eine bleiben.

»Ich finde den Hauptbahnhof großartig«, sagt Laura Ewert. Die Berliner Abiturientin steht an der Brüstung der Erdgeschossebene und schaut abwechselnd nach oben und nach unten, je nachdem, wo gerade ein Zug mit viel Getöse ein- oder ausfährt. Sie wartet auf ihren Freund, der bald aus Hamburg ankommen soll. Tatsächlich ist der hohe Raum mit den wuselnden Menschen - täglich etwa 300 000 an der Zahl - faszinierend. 1300 Züge pro Tag halten hier.

Beobachtet man die Passagiere genauer, sieht man häufig auch etwas Verzweiflung in den Blicken. »Wo geht es zu Gleis Eins«, lautet eine häufig gestellte Frage. »Die Rolltreppe liegt versteckt neben McDonalds«, lautet dann die hilfreichste Antwort. Insgesamt 54 Fahrtreppen gibt es. Auch nach zehn Jahren ist die Wegeführung nicht intuitiv erfassbar und wie in einem gewöhnlichen Einkaufszentrum ist es einfacher, das naheliegende Geschäft als Orientierungshilfe zu nennen. Manche Läden stehen im Moment leer, denn pünktlich zum Jubiläum liefen auch viele Mietverträge nach den üblichen zehn Jahren aus - vor allem Mode scheint nicht so gut gelaufen zu sein.

Schon vor der Fertigstellung war der Bahnhof ein Ort des Wartens. Ursprünglich sollte er im Jahr 2000 eröffnet werden. 2009 kam die U-Bahn dazu, die mit ihrer kurzen Strecke zum Brandenburger Tor hauptsächlich bei Touristen beliebt ist. Seit 2014 fährt schließlich auch die Straßenbahn. Natürlich hätte alles gleichzeitig eröffnet werden sollen. Warten ist auch an den 38 Fahrstühlen angesagt, die die vielen Ebenen verbinden, genau wie an den Ampeln am Europaplatz. So nennt sich das Asphaltprovisorium auf der Nordseite des Bahnhofs, wo Fußgänger, Taxi-, Auto- und Fahrradfahrer versuchen, unfallfrei durchzukommen. »Das ist ein einziges Kuddelmuddel«, beklagt Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB und wünscht sich eine klare Zuordnung der einzelnen Vorplätze.

Eine Dauerbaustelle läuft noch: die S 21. Sie soll den nördlichen S-Bahn-Ring mit dem Hauptbahnhof verbinden, später soll es weiter zum Potsdamer Platz gehen. Doch unter dem Bau wurde nicht genug Platz für den Tunnelbahnhof gelassen. Damit nicht genug, kurz vor dem Bahnhof kriegen die Bauarbeiter den Tunnel nicht dicht. Es werde zusammen mit den Baufirmen ein Konzept erarbeitet, wie das Problem in den Griff zu bekommen sei, heißt es bei der Bahn. »Wir befinden uns in Abstimmung mit der Stadtentwicklungsverwaltung, zu welchem Termin die Strecke eröffnet wird und wie der Verkehr aussehen soll«, sagt Michael Baufeld von der Deutschen Bahn. Euphorisch klingt anders. 300 Millionen Euro oder mehr soll der Spaß kosten.

Auch die Bahnhofsmission hat Jubiläum. Mehr als 250 000 Mal konnten die Helfer in den letzten zehn Jahren Menschen mit sozialen und finanziellen Schwierigkeiten, Krisen und mit körperlichen Einschränkungen zur Seite stehen, heißt es in einer Mitteilung.

Am Wochenende feiert die Bahn ihren Problembau mit einem kleinen Volksfest. Bereits diesen Donnerstag eröffnet ein Elektromarkt. Reisende können sich endlich mit Fernsehern für die Fahrt versorgen.

Was noch zu sagen bleibt? Zur Eröffnung 2006 verletzte ein Jugendlicher mit einem Messer Dutzende Menschen. Außerdem ist das Dach zu kurz, und die Stahlbalken der Fassade waren mal locker. Und dicht ist das Dach auch nicht immer, Krähen pulen gerne die Gummis heraus. Welcher Bahnhof würde besser zu Berlin passen?

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal