Der Ringende
Johannes R. Becher
Er war der Staatsdichter der DDR. Im Osten gerühmt als Dichter des Friedens und Sozialismus, im Westen verdammt als Verräter am Geiste. Johannes R. Becher - heute der toteste aller toten Dichter. Dabei hatte er ein aufregendes Leben, gezeichnet von den zerreißenden Widersprüchen einer ganzen Epoche, die er zur Sprache brachte, groß und elend zugleich wie eine Shakespeare-Figur.
Am 22. Mai 1891 wurde Hans Robert Becher in München geboren. Sein Vater war ein Staatsanwalt, der den Sohn zu Fleiß, Ordnungsliebe, Kaisertreue erzog. Und das Gegenteil erreichte: Der Knabe ist widerspenstig, kommt mit elf in ein Erziehungsheim und bleibt sitzen - wegen Deutsch. Mit 19 soll er Offizier werden, schreibt jedoch Gedichte und begeht am Ostersonntag 1910 einen Doppelselbstmordversuch nach dem Vorbild Kleists. Die Geliebte stirbt, er überlebt nach schwerer Operation, beginnt Medizin zu studieren und debütiert als Dichter mit der Kleist-Hymne »Der Ringende«. Fortan nennt er sich Johannes R., wird ekstatischer Sänger der Jugend, die gegen die Enge und Verlogenheit der Bürgerwelt revoltiert: »Wir horchen auf wilder Trompetdonner Stöße/Und wünschten herbei einen großen Weltkrieg.« Als der Krieg ausbricht, flieht Becher ins Morphium. 1919 tritt er der KPD bei, träumt von der »Weltrevolution«, flieht 1933 vor Hitler und lernt bei Stalin das Fürchten. 1935 wirbt er in Paris mit einem »Kongress zur Verteidigung der Kultur« für ein breites Bündnis und schreibt berührende Gedichte auf deutsche Städte. Um »Traumbesitz« müsse man streiten, keine Farbe, keinen Ton dürfe man den Nazis überlassen. Sich das Erbe der Kultur anzueignen hieß für ihn, den Widerstand stärken: Widerstand nicht nur gegen äußere Gewalt, sondern auch die innere Leere, die Verzweiflung im Angesicht Stalinscher Säuberungen.
Als einer der ersten Emigranten kehrt Becher 1945 in die Ruinen Berlins zurück und gründet mit dem »Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« ein Forum der Verständigung. Denn nach zwölf Jahren Diktatur müsse man wieder frei sprechen und einander zuhören lernen. Von den kalten Kriegern im Westen verhöhnt und von den eignen Genossen aus dem Parteivorstand geworfen, geht er immer mehr Kompromisse ein, schreibt peinliche Stalin-Gedichte und zugleich kritische Verse, die zum Nachdenken bewegen, steigt als Kulturminister 1954 zur Macht auf und wird zwei Jahre später ohnmächtig zerrieben, als sich in seinem Rücken die Opposition im Kulturbund formiert.
Weder die Akademie der Künste noch der Aufbau-Verlag haben zum 125. Geburtstag ihres Mitbegründers gedacht. Nur der Kulturbund erinnerte sich mit einer Tagung in Bad Saarow. Deren Tenor: Gut, dass Becher nicht mehr zu Tode gerühmt wird. Denn nun erst können wir den Menschen wahrnehmen und Bleibendes in seinem Werk entdecken. Jens-F. Dwars
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