Wie die Möhre vor dem Esel

Staatsoper-Untersuchungsausschuss kommt auf keinen gemeinsamen Nenner

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Statt 239 Millionen Euro soll der Staatsopernumbau 400 Millionen Euro kosten. Mit 33 Zeugen, 633 Aktenordnern und einer CD-Rom versuchte der Untersuchungsausschuss das Warum zu ergründen.

»Es war eine verdammt kurze Zeit für die Arbeit«, sagt Wolfgang Brauer (LINKE), Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zur Sanierung und zum Umbau der Staatsoper Unter den Linden. Nur etwas über ein Jahr hatten die Parlamentarier Zeit, um Licht in die Vorgänge zu bringen, die hohe Zusatzkosten und große Bauzeitverlängerungen zur Folge hatten. Am 8. Mai 2015 trat der Ausschuss zusammen, vergangenen Freitag hatte er seine letzte Sitzung.

Am 10. Juni soll der Abschlussbericht in Druck gehen, am 23. Juni, dem letzten Sitzungstag in der Legislaturperiode vor der Sommerpause, kommt er ins Plenum. Doch in der Pressekonferenz am Freitag gaben alle fünf Fraktionen Einblick in ihr jeweiliges Fazit. Dass es bei dem Projekt nicht wirklich gut gelaufen ist, darin sind sich Opposition und Regierung einig. Und auch, dass dringend Lehren für die künftige Herangehensweise an solche Vorhaben gezogen werden müssen.

Die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill nennt die Staatsoper »eines der ambitioniertesten Bauvorhaben der Republik« und zeigt damit, welches Fazit die Regierungsfraktionen ziehen. »90 Prozent der Kostensteigerung wurden durch Denkmalschutz und Baugrund verursacht«, sagt sie und unterschlägt dabei, dass es eine politische Entscheidung war, den Innenraum an das historische Aussehen anzulehnen. »Die Sortierung der Nutzerwünsche hätte man anders gestalten können«, nennt Radziwill immerhin einen Punkt, an dem die Regierung versagt hatte.

Von den 150 Änderungsanträgen beim Schlussbericht seien 94 von den Regierungsfraktionen gekommen, sagt Sabine Bangert von den Grünen. »Die Kernaussage wird extrem verfälscht«, sagt sie und kündigt wie LINKE und Piraten ein Sondervotum an. Es werde abgelenkt von der »kollektiven Verantwortungslosigkeit aller Senatoren und Staatssekretäre«. Die Hauptverantwortung sieht Bangert beim ehemaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und dessen Kulturstaatssekretär André Schmitz (beide SPD). Der amtierende Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) »trägt heute noch Änderungswünsche von Nutzern an den Architekten heran«, sagt Bangert empört.

Andererseits wolle kein Senator etwas entschieden haben. »Der Regierende Bürgermeister äußert irgendwelche Wünsche, und die Verwaltung nimmt das als Weisung wahr«, so fasst Wolfram Prieß von der Piratenfraktion das Sittenbild zusammen, das die Zeugenvernehmungen ergaben.

Matthias Brauner von der CDU legt sein Augenmerk vor allem auf künftige Projekte, wie das »höchst individuelle Bauwerk ICC«. Das Kongresszentrum am Messegelände erfülle alle Merkmale wie die Staatsoper. »Es ist ein Unikat, es ist schadstoffbelastet und möglicherweise demnächst denkmalschutzbelastet.«

»Sie werden im Bericht feststellen, dass es durchaus Widersprüche zwischen Belegen und zitierten Aussagen von Zeugen gibt«, sagt Brauer von der LINKEN. Vor allem die Absage der ursprünglichen Ausschreibung habe zu »Entscheidungszwängen und Zeitdruck« geführt. Als katastrophal bezeichnet er die Aufteilung der Bauplanung in mehrere Abschnitte. »Die Mittel hätten vom Parlament nicht freigegeben werden dürfen, weil geprüfte Bauplanungsunterlagen fehlten«, räumt Brauer eine Mitverantwortung der Abgeordneten ein. »Das Parlament kann nur in dem Maße entscheiden, in dem es informiert wird. Die Probleme wurden allerdings verschleiert«, sagt Prieß. Die 30 Millionen Euro, die die »Freunde und Förderer der Staatsoper« als Zuschuss für die Sanierung in Aussicht stellten (und nur einen Bruchteil tatsächlich zahlten), seien »wie die Möhre vor dem Esel« gewesen, verteidigt Radziwill die Abgeordneten. »Jede politische Entscheidung ist aufhaltbar und revidierbar Das ist verabsäumt worden«, so Bauer.

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