Prävention, Aufklärung und Entkriminalisierung

Seit 15 Jahren verfolgt Portugal eine neue Drogenpolitik

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.
Als die Regierung 2001 die Entkriminalisierung des Drogenkonsums beschloss, gab es auch viel Skepsis. Doch inzwischen muss das Experiment als rundum gelungen gelten.

30/2000 heißt das Gesetz, das aus Portugal vor 15 Jahren eines der drogenpolitisch liberalsten Länder überhaupt machte. Das von Kritikern beschworene Szenario, in dem der Konsum explodieren, in dem Drogentouristen das Land überschwemmen und es in eine apokalyptische Junkiehölle verwandeln würden, bewahrheitete sich nicht. Stattdessen ging der Drogenkonsum seither sogar deutlich zurück.

Bis heute sind Drogen in Portugal nicht legal. Nur ist der Besitz geringer Mengen zum Eigenverbrauch keine Straftat mehr, sondern wird als Ordnungswidrigkeit wie etwa das Falschparken bewertet. Als begrenzter Konsum gelten zehn Tagesrationen: bis zu 25 Gramm Marihuana, zwei Gramm Kokain, ein Gramm Heroin oder Crystal Meth, bis zu zehn LSD- und Ecstasypillen. Wer mit größeren Mengen erwischt wird, wird als Dealer nach dem Strafrecht behandelt. Wird man mit Eigenverbrauchsmengen erwischt, werden die Drogen beschlagnahmt - und man muss bei einem »Ausschuss zur Bekämpfung der Drogensucht« (CDT) vorsprechen, der aus je einem Juristen, Sozialarbeiter und Psychologen besteht.

Zwar können die CDT, muss jemand zum zweiten Mal antreten, auch Bußgelder und Sozialarbeit verhängen oder Platzverbote aussprechen. Doch geht es im Kern weniger um Sanktionen als um Unterstützung. Mit den Betroffenen werden Suchtprobleme besprochen und Therapiemöglichkeiten erörtert. Dass in der Metropole Lissabon derzeit nur etwa 1500 Personen pro Jahr vor einem CDT erscheinen müssen, weist schon auf die positive Wirkung dieser Politik hin. Und in mehr als zwei Dritteln dieser Fälle bildet der sogenannte weiche Konsum von Cannabis den Hintergrund.

Ihr Erfolg beruht für die Väter dieser Strategie auf Aufklärung und Prävention. Entkriminalisierung allein wäre nicht zielführend, meint João Goulão. Sie sei aber die Voraussetzung für eine wirksame Politik: »Wer Drogen nimmt, ist nicht kriminell, sondern krank«, sagt der frühere Hausarzt, der federführend an der Liberalisierung beteiligt war. Er ist seit 1997 Chef des nationalen Anti-Drogen-Programms in der Hauptstadt. Die Entkriminalisierung erleichtere vor allem den Zugang zu Konsumenten, da deren Angst vor der Polizei weggefallen sei. »Heute kommen sie von alleine«, sagt er.

Das Problem, dem sich das Land nach der Nelkenrevolution von 1974 zu stellen hatte, war enorm. Plötzlich schwappten Drogen nach Portugal, aber es gab kaum Erfahrungen. Da bald fast »jede Familie ein Mitglied oder einen Freund mit einem Suchtproblem« hatte, entstand eine positive Stimmung für Entkriminalisierung, »die aus der Gesellschaft kam«, erklärt Goulão. Zwar war auch damals der Gesamtkonsum im Land unterdurchschnittlich, aber er konzentrierte sich auf harte Drogen. Etwa 100 000 Heroinabhängige soll es auf dem Höhepunkt der »Heroinpest« gegeben haben, fast ein Prozent der Bevölkerung.

Dass seit 2001 Abhängige nicht mehr die Gefängnisse füllen, ist gleichfalls ein Erfolg. Denn seither geht auch die Beschaffungskriminalität zurück. Sozialarbeit in Problemvierteln wurde verstärkt, Therapien wurden entwickelt und Substitutionsprogramme eingeführt. Zudem wurden Aufklärungskampagnen in Schulen, Hochschulen und im Fernsehen gestartet. Der Effekt lässt sich leicht messen. Die Zahl der Heroinsüchtigen konnte auf weniger als ein Drittel gesenkt werden. Die Zahl der Drogentoten ist sogar um mehr als 75 Prozent gesunken. 1999 wies Portugal noch die höchste Zahl an drogenbedingten AIDS-Todesfällen in der gesamten EU auf.

Die »Transform Drug Policy Foundation« zeigt Erfolge dieser Politik auf allen entscheidenden Ebenen. Die Zahl derjenigen, die mindestens einmal in ihrem Leben, einmal innerhalb des letzten Jahres und einmal innerhalb des letzten Monats Drogen konsumiert haben, verringert sich deutlich. Die Rate in der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen, die beim Drogeneinstieg als besonders gefährdet gilt, geht seit 2001 stark zurück: Statt 45 nehmen nur noch 28 Prozent von diesen irgendwelche Drogen.

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