Kein Ende vom Gefängnisgelände

Amtsgericht Cottbus verurteilt anonyme Klimaaktivistin zu zwei Monaten Haft

Am Donnerstag endete der erste Prozess zur Protestaktion »Ende Gelände« mit einem harten Urteil, weil die Angeklagte ihre Identität nicht preisgeben wollte.

Als Umweltaktivisten in der Nacht zum 14. Mai 2016 bei Roggosen in der Niederlausitz eine Schiene vom Braunkohletagebau zum Kraftwerk besetzten, war die junge Frau dabei, wurde festgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt. Am Donnerstag verdonnerte das Amtsgericht Cottbus die 19-Jährige zu zwei Monaten Gefängnis. Die ihr zur Last gelegten Taten beurteilte Amtsgerichtsdirektor Michael Höhr zwar als Bagatellen. Auch Staatsanwalt Ruprecht Pfeffer meinte, im Normalfall wäre eine Geldstrafe ausreichend gewesen. Doch dieser Fall sei nicht normal - und so forderte Pfeffer in seinem Plädoyer die zwei Monate.

Die Angeklagte hatte keinen Personalausweis bei sich und gab bis jetzt ihre Identität nicht preis. So weiß die Justiz nur, was sie sieht: Eine zierliche Frau, 1,65 Meter groß, mit einer Brille, die auf einer Stupsnase sitzt, und mit sehr kurzen Haaren und einer Art Irokesenschnitt, mit blond gefärbten Tupfern und drei Locken im Nacken, nach Art von Rastalocken verfilzt.

Erst bei der Verhandlung im 40 Zuschauer fassenden Saal 22 nannte die Frau wenigstens ihr Alter - und nachdem ihr Verteidiger Nils Spörkel etwas zuflüsterte -, dass sie kein Einkommen habe, aber einen festen Wohnsitz. Sie hatte sich anscheinend in die Fingerkuppen geritzt und sie hatte sich derart gewehrt, dass ihr keine brauchbaren Fingerabdrücke abgenommen werden konnten. Als sie fotografiert wurde, schnitt sie Grimassen - nach Überzeugung von Staatsanwalt Pfeffer absichtlich.

Das ärgerte ihn, und es missfiel auch dem Richter. Denn es dürfte nicht sein, dass Schwerkriminelle hinterher glauben, sie könnten um ihre Bestrafung herumkommen, wenn sie ihre Identität verschleiern, was übrigens bei jeder neuen Nachfrage als weitere Ordnungswidrigkeit gilt, wie der Richter erläuterte.

Es war den Teilnehmern am zivilen Ungehorsam gegen die Braunkohle vorher vom Protestbündnis »Ende Gelände« empfohlen worden, Personaldokumente nicht einzustecken. Das war eine Strategie, eventuellen Schadenersatzklagen des Energiekonzerns Vattenfall zu entgehen. Jetzt kam es in einem beschleunigten Verfahren zum ersten Prozess. Dabei ging es allerdings nicht um Schadenersatz.

Die Polizei hatte am bewussten Pfingstwochenende gegen 2 Uhr nachts auf den Gleisen bei Roggosen mehrere Klimaaktivisten angetroffen, deren Arme in einer Art Betonpyramide steckten. Sie hatten sich angekettet, um Kohletransporte in Kraftwerke zeitweise zu blockieren. Die 19-Jährige gehörte zu einer Handvoll Leute, die zur Betreuung der angeketteten Mitstreiter dabei waren. Diese Beschützer trug die Polizei ein Stück beiseite, und sie ließen dies alle friedfertig geschehen.

Doch dann beobachtete die Angeklagte, wie Beamte an den angeketteten Aktivisten zerrten, um festzustellen, ob diese wirklich fest verankert sind. Die 19-Jährige befürchtete Verletzungen bei einem aus ihrer Sicht derart rabiaten Vorgehen und wollte hinlaufen, um ihre Meinung zu sagen, damit die Angeketteten vorerst in Ruhe gelassen werden.

Weil sie nicht durchgelassen wurde, sei sie »wild« geworden. So die Aussage eines der beiden 27 und 29 Jahre alten Polizisten aus Frankfurt (Oder), die als Zeugen geladen waren. Sie habe auch geschrien, »dass wir Nazis seien«, erklärte der 27-jährige Polizeikommissar. Die 19-Jährige wurde zu Boden gedrückt, wehrte sich, strampelte. Dabei soll sie dem 27-jährigen schmerzhaft ans Knie getreten haben, woran sie sich selbst hinterher nicht erinnern konnte. Der 29-jährige Kollege hat es auch nicht gesehen.

Aber der betroffene Polizeikommissar machte von der Sache vor Gericht kein Aufheben. Er habe von dem Tritt nur einen blauen Fleck davongetragen, sagte er. Es sei nicht so schlimm gewesen, versicherte der Beamte. Er sei einsatzfähig geblieben und nicht zum Arzt gegangen wegen einer solchen Kleinigkeit. Nach einer Weile beruhigte sich die Frau. Sie schimpfte nur noch, wehrte sich aber nicht mehr tätlich gegen ihre Behandlung, heißt es.

Nach Ansicht von Rechtsanwalt Spörkel hätte eine Woche Arrest als Strafe vollkommen genügt. Anders als der Staatsanwalt fand der Richter, dass eine Geldstrafe theoretisch möglich wäre, auch wenn man nicht wisse, wer die Angeklagte sei und wo sie wohne. Man könnte sie ja in die Ersatzhaft nehmen, die Brandenburgs neuer Justizminister Stefan Ludwig (LINKE) »erstaunlicherweise abschaffen möchte«. Doch die Justiz brüskieren und das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellen, das wäre »Anarchie«. Übrigens trägt die 19-Jährige ein A mit einem Kreis darum als Tätowierung auf ihrem linken Unterschenkel - ein anarchistisches Symbol, wie der Richter weiß. Die Polizei habe sich bei »Ende Gelände« defensiv verhalten, würdigte er. Auch wenn etliche Politiker und die Wirtschaft das bemängelten, er finde das richtig, sagte Höhr. Fast alle der bis zu 4000 Kohlegegner haben seiner Kenntnis nach friedlich demonstriert. Ausnahmen wie die Angeklagte seien verantwortlich, dass die Braunkohlegegner - einigen drohe der Verlust von Haus und Hof - nun in die Ecke »Randale« gestellt werden. »Das finde ich persönlich schade.«

Während der Beweisaufnahme zeigte sich Richter Höhr freundlich und umgänglich, streute Scherze ein, über die alle lachten, die Angeklagte eingeschlossen. Durch die Blume warnte er, dass Geheimnis um ihren Namen werde der 19-Jährigen sicherlich schaden. Bei der Urteilsverkündung klang Höhr plötzlich streng. Als die 19-Jährige am Ende zaghaft nachfragte, was denn wäre, wenn sie jetzt ihren Namen verraten würde, bedauerte Höhr aufrichtig: »Dann kann ich das Urteil nicht mehr rückgängig machen.«

Pflichtverteidiger Spörkel und Staatsanwalt Pfeffer könnten aber Berufung einlegen. Die Möglichkeit haben sie sich offen gelassen. Eine Woche Zeit bleibt ihnen für diese Entscheidung. Seite 11

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